Verzinsung von Stromsteuererstattungsansprüchen nach Unionsrecht

Der Bundesfinanzhof hat in einem bei ihm anhängigen Revisionsverfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV eine Rechtsfrage zur Verzinsung von Stromsteuererstattungsansprüchen nach Unionsrecht zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht festgesetzter Stromsteuer nach Unionsrecht zu verzinsen, wenn der niedrigeren Festsetzung der Stromsteuer die fakultative Steuerermäßigung nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom[1] zugrunde lag und die zu hohe Steuerfestsetzung ausschließlich auf einem Fehler bei der Anwendung der nationalen Vorschrift, die zur Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 erlassen wurde, auf den Streitfall beruhte?

Verzinsung von Stromsteuererstattungsansprüchen nach Unionsrecht

In dem bei ihm anhängigen Streitfall ist die rechtliche Würdigung nach Ansicht des Bundesfinanzhofs unionsrechtlich zweifelhaft; es kommt darauf an, ob ein Anspruch auf Erstattung von Stromsteuer nach der EuGH-Rechtsprechung zu verzinsen ist, wenn dieser von einem Mitgliedstaat auf die Anwendung einer fakultativen Steuerermäßigung gestützt wird:

Im Streitfall[2] ist die Stromsteuer mit der Entnahme des Wechselstroms aus dem Versorgungsnetz entstanden, weil der Strom in den Akkumulatoren in chemische Energie umgewandelt und somit verbraucht wurde. Dieser Stromverbrauch unterliegt einem ermäßigten Steuersatz von 12, 30 EUR für eine Megawattstunde nach § 9 Abs. 3 StromStG und nicht dem Regelsteuersatz von 20, 50 EUR für eine Megawattstunde nach § 3 StromStG. Denn es handelt sich um eine Entnahme von Strom durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für betriebliche Zwecke. Dies wurde für Stromentnahmen im Jahr 2006 rechtskräftig gerichtlich entschieden.

Der Anspruch auf Erstattung zu viel gezahlter Stromsteuer ergibt sich im Streitfall dadurch, dass das Hauptzollamt zu Unrecht zunächst den Regelsteuersatz auf die verbrauchte Strommenge angewandt und damit gegen die nationale Vorschrift des § 9 Abs. 3 StromStG verstoßen hatte, die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes steuerlich begünstigt.

Allerdings beruht die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes nach § 9 Abs. 3 StromStG für Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für betriebliche Zwecke aus dem Versorgungsnetz entnommen hat, auch auf Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96. Denn diese Regelung gibt den Mitgliedstaaten erst die Möglichkeit, energieintensiven Betrieben eine Steuerermäßigung zu gewähren. Daher fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Hauptzollamt dadurch, dass es gegenüber der Klägerin, einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, zunächst einen zu hohen Steuerbetrag festgesetzt hat, nicht nur gegen nationales Recht, sondern auch gegen Unionsrecht verstoßen hat. Dabei geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass es sich bei der Einspeisung von Strom in Akkumulatoren nicht um eine Elektrolyse i.S. des Art. 2 Abs. 4 Buchst. b dritter Anstrich RL 2003/96 handelt, für die der Anwendungsbereich dieser Richtlinie von vornherein nicht eröffnet wäre. Dies wird durch den Durchführungsbeschluss (EU) 2016/2266 des Rates vom 06.12.2016 zur Ermächtigung der Niederlande, einen ermäßigten Steuersatz auf Strom anzuwenden, der an Ladestationen für Elektrofahrzeuge geliefert wird[3], bestätigt. Dieses Beschlusses hätte es nicht bedurft, wenn das Aufladen von Akkumulatoren als Elektrolyse anzusehen und damit ohnehin nicht von der RL 2003/96 erfasst wäre.

Mit Urteil IRCCS – Fondazione Santa Lucia vom 18.01.2017 – C-189/15[4] hat der EuGH zur Reichweite des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 entschieden, aus den Erwägungsgründen 9 und 11 dieser Richtlinie ergebe sich, dass diese den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen einräumen wolle und dass es Sache des einzelnen Mitgliedstaats sei, zu entscheiden, durch welche Maßnahmen er diese Richtlinie umsetzen wolle. Demnach stehe es den Mitgliedstaaten frei, die Gewährung von Steuerermäßigungen für energieintensive Betriebe auf die Betriebe eines oder mehrerer Industriesektoren zu beschränken.

Nach Auffassung des vorlegenden Bundesfinanzhofs haben die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 nicht nur hinsichtlich der Definition des Kreises der begünstigten Unternehmen einen Gestaltungsspielraum, sondern auch hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes, sofern dieser etwaige unionsrechtlich festgelegte Untergrenzen nicht unterschreitet. Denn nur so können die in den oben genannten Erwägungsgründen genannten Motive des Richtliniengebers umgesetzt werden.

Bei Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 handelt es sich demnach um eine fakultative Steuerermäßigung, die die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen gewähren können. Eine Verpflichtung zur steuerlichen Begünstigung energieintensiver Betriebe besteht demnach nicht. Insofern unterscheidet sich Art. 17 RL 2003/96 von den obligatorischen Steuerbefreiungen nach Art. 14 RL 2003/96, die die Mitgliedstaaten zwingend zu gewähren haben und auf die sich ein Steuerpflichtiger im Falle nicht rechtzeitiger Umsetzung in nationales Recht unmittelbar berufen kann[5].

Daraus ergibt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Erstattung von Stromsteuer, dem eine (nur) fakultative Steuerermäßigung[6] zugrunde liegt, genauso zu verzinsen ist, wie ein Anspruch auf Erstattung von Stromsteuer aufgrund einer obligatorischen Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung.

Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Steuern erhoben hat, einen Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steuer, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer[7].

Demnach lässt sich aus dem Unionsrecht der Grundsatz ableiten, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten. Dabei kommt es in Ermangelung einer Regelung der Union der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen, insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen, festzulegen. Diese Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, das heißt sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen[8].

Einer Verzinsung der erstatteten Stromsteuer steht nicht schon die Tatsache entgegen, dass es sich bei der RL 2003/96 um einen Rechtsakt der Union handelt, der erst der Umsetzung in nationales Recht bedurfte. Denn mit Urteil Littlewoods Retail u.a.[9] hat der EuGH dies gerade nicht als Ausschlussgrund für einen Zinsanspruch angesehen[10].

Das vorlegende Gericht neigt zu der Auffassung, einen Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts zu verneinen, wenn sich der Steuererstattungsanspruch aufgrund einer fehlerhaften Anwendung von nationalem Recht ergibt, das ein Mitgliedstaat unter Ausnutzung eines unionsrechtlichen Gestaltungsspielraums und einer fakultativen unionsrechtlichen Vorgabe erlassen hat.

Aus der Rechtsprechung des EuGH geht hervor, dass der Umfang des Spielraums, über den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Ausnahme oder Beschränkung verfügen, im Einzelfall insbesondere nach Maßgabe des Wortlauts dieser Bestimmung zu beurteilen ist[11].

Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 macht jedoch nur Vorgaben hinsichtlich der Definition der energieintensiven Betriebe. Ob aber überhaupt ein ermäßigter Steuersatz für energieintensive Betriebe vorgesehen wird, ist den Mitgliedstaaten überlassen. Dazu kommt, dass es im Streitfall nicht um die Frage geht, ob Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 richtlinienkonform in nationales Recht umgesetzt wurde. Vielmehr setzte das Hauptzollamt die Stromsteuer im Streitfall ursprünglich deshalb zu hoch fest, weil es die Voraussetzungen für die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes nach § 9 Abs. 3 StromStG zu Unrecht verneint hatte.

Darüber hinaus wird mit der Zulassung eines ermäßigten Steuersatzes nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 für energieintensive Betriebe eine Ausnahme von der Harmonisierung der Stromsteuer gemacht, indem es den Mitgliedstaaten überlassen wird, ob und inwieweit sie eine solche Begünstigung in ihren nationalen Vorschriften zulassen wollen. Der Unionsgesetzgeber schätzt das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes, das unter anderem durch die Einführung verbindlicher Mindeststeuerbeträge in der RL 2003/96 erreicht werden soll[12], in diesem Bereich also gerade als weniger gewichtig ein.

Abgesehen von diesen unionsrechtlichen Erwägungen beruhte die zu hohe Steuerfestsetzung im Streitfall nicht auf einer verspäteten Umsetzung von Unionsrecht, sondern auf einer fehlerhaften Anwendung von nationalem Recht, das unter Ausnutzung eines unionsrechtlich gewährten Gestaltungsspielraums erlassen worden war.

Jedoch gibt es auch Argumente, die für die Gewährung eines Zinsanspruchs im Streitfall sprechen.

Zunächst wurde der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten für eine steuerliche Begünstigung energieintensiver Betriebe durch Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96 eröffnet. Die Grundlage für den ermäßigten Stromsteuersatz liegt daher nicht nur in § 9 Abs. 3 StromStG, sondern letztlich auch im Unionsrecht.

Wie sich weiterhin aus Art. 2 Abs. 2 RL 2003/96 und Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG[13] ergibt, wurde die Besteuerung von Strom im Gebiet der Gemeinschaft i.S. des Art. 5 RL 2008/118 grundsätzlich harmonisiert. Würden Erstattungsansprüche aufgrund fakultativer Steuerermäßigungen im Gegensatz zu solchen aus obligatorischen Steuerermäßigungen oder -befreiungen nicht verzinst, läge eine ungleiche Behandlung vor. Es stellt sich jedoch die Frage, ob unterschiedliche Rechtsgrundlagen im Unionsrecht eine Ungleichbehandlung bei der Verzinsung von Erstattungsansprüchen rechtfertigen, zumal dies für den Steuerpflichtigen keinen Unterschied macht. Denn in beiden Fällen kann er über den zu viel gezahlten Steuerbetrag nicht verfügen.

Zudem führte die Verneinung eines unionsrechtlichen Zinsanspruchs für Erstattungsansprüche aufgrund fakultativer Steuerermäßigungen dazu, dass eine Verzinsung dann nur noch nach den unterschiedlichen nationalen Vorschriften gewährt werden könnte.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19. November 2019 – VII R 17/18

  1. RL 2003/96[]
  2. betreffend das Jahr 2010[]
  3. ABl.EU Nr. L 342/30[]
  4. EU:C:2017:17, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern -ZfZ- 2017, 123[]
  5. EuGH, Urteil Cristal Union vom 07.03.2018 – C-31/17, EU:C:2018:168, ZfZ 2018, 104, Rz 22 ff., []
  6. im Streitfall Art. 17 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/96[]
  7. EuGH, Urteile Littlewoods Retail u.a. vom 19.07.2012 – C-591/10, EU:C:2012:478, Rz 25, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2012, 1018; Zuckerfabrik Jülich vom 27.09.2012 – C-113/10, – C-147/10 und – C-234/10, EU:C:2012, 591, Rz 65, ZfZ 2013, 76; Irimie vom 18.04.2013 – C-565/11, EU:C:2013:250, Rz 21, HFR 2013, 659; Nicula vom 15.10.2014 – C-331/13, EU:C:2014:2285, Rz 28, ABl.EU 2014 Nr. C 462, 7, und Wortmann vom 18.01.2017 – C-365/15, EU:C:2017:19, Rz 37 ff., ZfZ 2017, 42; vgl. auch BFH, Urteil vom 22.09.2015 – VII R 32/14, BFHE 251, 291, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2016, 323[]
  8. EuGH, Urteile Littlewoods Retail u.a., EU:C:2012:478, HFR 2012, 1018, Rz 26 f.; Zuckerfabrik Jülich, EU:C:2012, 591, Rz 61 und 66, ZfZ 2013, 1210; Irimie, EU:C:2013:250, Rz 22 f., HFR 2013, 659; Nicula, EU:C:2014:2285, Rz 28, ABl.EU 2014 Nr. C 462, 7, und Tarsia vom 06.10.2015 – C-69/14, EU:C:2015:662, Rz 25, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2015, 917; vgl. auch BFH, Urteil in BFHE 251, 291, BStBl II 2016, 323[]
  9. EU:C:2012:478, HFR 2012, 1018, Rz 26 f.[]
  10. zum Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen hinsichtlich zu viel gezahlter Mehrwertsteuer vgl. auch EuGH, Urteil Rafinăria Steaua Română vom 24.10.2013 – C-431/12, EU:C:2013:686, HFR 2013, 1163[]
  11. vgl. EuGH, Urteil Spiegel Online vom 29.07.2019 – C-516/17, EU:C:2019:625, Rz 25, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 2019, 940[]
  12. vgl. zum Beispiel EuGH, Urteil ROZ-SWIT vom 02.06.2016 – C-418/14, EU:C:2016:400, Rz 32, ZfZ 2017, 73, zur Festsetzung von Mindeststeuerbeträgen und unter Hinweis auf die Erwägungsgründe 3 und 4 RL 2003/96[]
  13. RL 2008/118[]