Der Gasgrundversorger ist verpflichtet, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten und nach Möglichkeit die günstigste Beschaffungsalternative zu wählen. Eine Steigerung der eigenen (Bezugs-) Kosten kann nur in diesem Rahmen an die Kunden weitergegeben werden.

Der Ausgangssachverhalt[↑]
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall verlangte ein regionales Energie- und Wasserversorgungsunternehmen von der beklagten Kundin, die sie als Tarifkundin (Grundversorgungskundin) leitungsgebunden mit Erdgas beliefert, die Zahlung restlichen Entgelts in Höhe von 2.733,12 € für Erdgaslieferungen in den Jahren 2005 bis 2007. Den in diesem Zeitraum von der Gasversorgerin vorgenommenen Erhöhungen des Arbeitspreises hatte die Kundin widersprochen – erstmals mit Schreiben vom 14. Februar 2006. Die Gasversorgerin macht geltend, Grund für die vorstehend genannten Preisänderungen seien jeweils Änderungen ihrer Bezugskosten gewesen, wobei sie mit den Preiserhöhungen ihre gestiegenen Bezugspreise nicht einmal in vollem Umfang weitergegeben habe.
Die Gaskundin hat die Bezugskostensteigerungen bestritten und zusätzlich geltend gemacht, die Gasversorgerin habe die Bezugskostensteigerungen unter anderem durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform verursacht. Die Gasversorgerin sei an ihren Vorlieferanten als Gesellschafterin beziehungsweise als Mitglied beteiligt; aufgrund dieser Vertriebsform würden die eigenen Bezugspreise – unter anderem durch die Berechnung einer Handelsspanne – künstlich in die Höhe getrieben, während die Gasversorgerin auf der anderen Seite an den Gewinnen dieser Vorlieferanten beteiligt sei. Die Gasversorgerin hat eine solche Vorgehensweise bestritten und geltend gemacht, sie habe sich lediglich mit anderen Stadtwerken zu einer Einkaufsgemeinschaft zusammengeschlossen, um – auch im Interesse ihrer Kunden – günstige Bezugspreise zu erreichen; die hierbei anfallende Handelsspanne an den Bezugskosten der Gasversorgerin sei nur äußerst gering und bewege sich in einer Größenordnung von lediglich rund 0,1 bis 0,2 %.
Das bisherige Verfahren[↑]
Die Klage hatte sowohl erstinstanzlich vor dem Amtsgericht Ravensburg[1] wie auch in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Ravensburg[2] Erfolg. Das Landgericht Ravensburg hat die Preiserhöhungen für wirksam erachtet, da die Gasversorgerin gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zur Preisänderung berechtigt gewesen sei und die Preiserhöhungen der Billigkeit entsprochen hätten, weil sie im Wesentlichen auf gestiegene Bezugskosten zurückzuführen seien. Das Bestreiten der Gaskundin hat das Landgericht Ravensburg als unbeachtlich angesehen, weil es nicht ausreichend substantiiert sei. Deren weiteren Vortrag, die Gasversorgerin habe die Bezugskosten durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform künstlich in die Höhe getrieben, hat das Berufungsgericht als unerheblich betrachtet, da die Bezugskosten nicht der gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Gaskundin ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Der Bundesgerichtshof hatte das vorliegende Verfahren zunächst mit Beschluss vom 18. Mai 2011 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG vorgelegt. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist am 23. Oktober 2014 ergangen[3].
Der Bundesgerichtshof hat daraufhin durch seine Urteile vom 28. Oktober 2015[4] seine Rechtsprechung zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen im Bereich der Erdgasversorgung von Tarifkunden (Gasgrundversorgung) geändert und entschieden, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV und der Nachfolgeregelung in § 5 Abs. 2 GasGVV aF ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Energieversorgers für die Zeit ab dem 1. Juli 2004 – dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG – nicht (mehr) entnommen werden kann, weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen der genannten Richtlinie vereinbar wäre. Er hat weiter entschieden, dass sich jedoch aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des Gaslieferungsvertrags ergibt, dass der Grundversorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV beziehungsweise § 5 Abs. 2 GasGVV aF für möglich erachteten Umfang vornehmen, aber eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen an den Kunden weitergeben darf, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, und er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Für Gaspreiserhöhungen, die vor dem Ablauf der oben genannten Frist zur Umsetzung der Gas-Richtlinie 2003/55/EG vorgenommen worden sind, bleibt es hingegen bei der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach im Tarifkundenverhältnis der Vorschrift des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV ein Preisänderungsrecht des Gasversorgers nach billigem Ermessen gemäß § 315 BGB zu entnehmen ist.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs[↑]
Der Bundesgerichtshof hat nunmehr – unter Bestätigung seiner oben genannten Grundsatzurteile vom 28. Oktober 2015 – entschieden, dass der Gasversorgerin gemäß der oben genannten Rechtsprechung für die hier streitgegenständlichen Preiserhöhungen der Jahre 2005 bis 2007 ein Recht zur Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen zwar nicht (mehr) – wie vom Landgericht angenommen – aus § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV, aber aufgrund der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrages der Parteien zusteht.
Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch – in Fortführung seiner bereits den oben genannten Urteilen vom 28. Oktober 2015[5] zugrunde liegenden Auffassung – ausdrücklich und mit eingehender Begründung entschieden, dass entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung – die von Gaskunden auch in weiteren beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren vertreten wird – die in den vorgenannten Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 2015 erfolgte ergänzende Vertragsauslegung keine nochmalige Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Gas-Richtlinie 2003/55/EG erfordert. Denn die insoweit entscheidungserheblichen Fragen sind durch die auf Vorlage des Bundesgerichtshofs ergangenen Urteile des Unionsgerichtshofs vom 21. März 2013[6] und vom 23. Oktober 2014[3] bereits – im Sinne eines acte eclairé – eindeutig geklärt.
Der Bundesgerichtshof hat weiter entschieden, dass mit der vom Landgericht gegebenen Begründung der von der Gasversorgerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung restlichen Entgelts für die Erdgaslieferungen nicht bejaht werden kann, weil das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, dass die streitgegenständlichen Preiserhöhungen auf Steigerungen der (Bezugs-)Kosten der Gasversorgerin beruhen. Das Landgericht hat das hierauf bezogene Bestreiten der Gaskundin rechtsfehlerhaft als unsubstantiiert angesehen und darüber hinaus zu Unrecht das Vorbringen der Gaskundin zur Beeinflussung der Bezugskosten der Gasversorgerin durch die Gestaltung der Vertriebsform für unerheblich gehalten.
Das Landgericht hat zwar im Ergebnis zutreffend die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Preiserhöhungen auf Steigerungen der eigenen (Bezugs-)Kosten beruhen und ihnen keine Einsparungen in anderen Kostenpositionen gegenüberstehen, der Gasversorgerin als derjenigen auferlegt, die sich auf das insoweit bestehende Recht zur Preisanpassung beruft. Auch hat das Landgericht mit Recht den Vortrag der Gasversorgerin zu den Bezugskostensteigerungen, für den die Gasversorgerin durch die Benennung eines ihrer Mitarbeiter sowie zweier Mitarbeiter der mit der Sache befassten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Zeugen in zulässiger Weise Beweis angetreten hat, für schlüssig erachtet.
Es hat jedoch verkannt, dass die Gaskundin diesen Vortrag in prozessual ausreichender Weise bestritten hat. Eine Partei darf sich über Tatsachen, die – wie hier die Entwicklung der Bezugskosten der Gasversorgerin für die Gaskundin – nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären. Sie ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Tatsachen zu überprüfen, um sich näher zu ihnen äußern zu können, und muss im Rahmen des Bestreitens auch nichts weiter substantiiert darlegen. Im vorliegenden Fall hat die Gaskundin zudem die Bezugskostensteigerungen der Gasversorgerin – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht nur pauschal bestritten, sondern substantiierte Einwände erhoben. Der Klage hätte mithin nicht ohne Beweisaufnahme über die von der Gasversorgerin behaupteten Bezugskostensteigerungen stattgegeben werden dürfen. Diese Beweiserhebung wird das Landgericht nachzuholen haben.
Ebenfalls zu Unrecht hat das Landgericht das Vorbringen der Gaskundin, die Gasversorgerin habe die eigenen Bezugskosten durch die Gestaltung der Vertriebsform in die Höhe getrieben, für unerheblich gehalten. Auch darüber hätte es Beweis erheben müssen. Denn auch im – hier gegebenen – Fall der ergänzenden Vertragsauslegung des Tarifkundenvertrages (Grundversorgungsvertrages) gilt der Grundsatz, dass der Gasversorger verpflichtet ist, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten und nach Möglichkeit die günstigste Beschaffungsalternative zu wählen. Das Preisänderungsrecht des Gasgrundversorgers umfasst deshalb nicht die Weitergabe solcher Preiserhöhungen, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Weitergabe der Preiserhöhung an den Kunden aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Ob dies – wie von der Gaskundin behauptet – hier der Fall ist, wird das Landgericht zu prüfen und den hierzu angebotenen Beweis zu erheben haben.
Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Ravensburg zurückverwiesen, damit die erforderlichen weiteren Feststellungen getroffen werden können.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. April 2016 – VIII ZR 71/10
- AG Ravensburg, Urteil vom 10.06.2009 – 10 C 1292/07[↩]
- LG Ravensburg, Urteil vom 25.02.2010 – 1 S 124/09[↩]
- EuGH, Urteil vom 23.10.2014 – C-359/11 und C-400/11 – Schulz und Egbringhoff[↩][↩]
- BGH, Urteile vom 28.10.2015 – VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12[↩]
- BGH, Urteile vom 28.102.105 – VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12[↩]
- EuGH, Urteil vom 21.03.2013 – C-92/11 – RWE Vertrieb AG[↩]