Gemeindliche Stromkonzessionen – und das Kartellrecht

Gemeinden haben bei der Vergabe von Stromkonzessionen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot zu beachten.

Gemeindliche Stromkonzessionen – und das Kartellrecht

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[1] leitet hieraus

  • das Verbot der direkten Übernahme örtlicher Energieverteilernetze ohne vorherige Ausschreibung (Verbot direkter Aufgabenerledigung),
  • das Verbot, bei der Ausschreibung des Betriebs örtlicher Energieverteilernetze den Betrieb durch eine kommunale Beteiligungsgesellschaft vorzugeben (Systementscheidungsverbot), sowie
  • das Verbot, bei der Auswahl des Betreibers eines örtlichen Energieverteilernetzes spezifische kommunale Interessen zu berücksichtigen (Verbot der Berücksichtigung kommunaler Interessen),

ab.

Bei dieser Rechtsprechung handelt es sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts um in Anwendung bestehenden Gesetzesrechts entwickelte Grundsätze, denen nicht die Qualität selbständiger Rechtsnormen zukommt. Deshalb können sie auch nicht im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde gerügt werden.

Das Bundesverfassungsgericht wies deshalb eine entsprechende Kommunalverfassungsbeschwerde der Gemeinde Titisee-Neustadt ab.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[↑]

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs haben Gemeinden bei der Vergabe von Nutzungsrechten im Sinne von § 46 Abs. 2 EnWG das Diskriminierungsverbot der § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten. Gemeinden seien als Normadressaten des kartellrechtlichen Diskriminierungs- und Behinderungsverbots anzusehen und handelten beim Abschluss von Konzessionsverträgen als Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts[2]. Auch dann, wenn sie die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrswege zum Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen wollten, hätten sie das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten und könnten sich insoweit weder auf ein „Konzernprivileg“ noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten „In-house-Geschäfts“ berufen[3]. Zwar schließe der Wortlaut des § 46 Abs. 4 EnWG, wonach die Absätze 2 und 3 des § 46 EnWG für Eigenbetriebe der Gemeinden entsprechende Anwendung finden, für sich allein noch nicht aus, einen Eigenbetrieb bei der Übertragung von Nutzungsrechten zu bevorzugen. § 46 Abs. 4 EnWG enthalte keine ausdrückliche Verweisung auf das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG. Aus dem Zweck der Regelungen des § 46 EnWG ergebe sich jedoch, dass die Gemeinden auch bei einer „Systementscheidung“ für den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG zu beachten hätten[4]. Die Auswahl eines Konzessionärs müsse in einem transparenten Verfahren erfolgen und sei vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG, das heißt die Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, konkretisierten[5].

Die Pflicht der Gemeinden zur diskriminierungsfreien Auswahl des Konzessionärs stehe mit dem Recht der Gemeinden auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG im Einklang. Zwar sei die Versorgung der Einwohner und ortsansässigen Unternehmen mit Energie eine Aufgabe der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung. Dies bedeute jedoch nicht, dass die im Zusammenhang mit dieser Versorgung stehende wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden keinen rechtlichen Schranken unterliege. Das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung bestehe vielmehr nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze, zu denen auch das Energiewirtschaftsgesetz zähle. Die Vorschrift des § 46 Abs. 1 EnWG greife nicht in verfassungswidriger Weise in den Kernbestand des Selbstverwaltungsrechts ein. Als Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie sei grundsätzlich nur die Möglichkeit der Gemeinde zur wirtschaftlichen Betätigung als solche geschützt, nicht aber einzelne Ausprägungen wirtschaftlicher Tätigkeit. Soweit in der aus § 46 Abs. 1 und 4 EnWG folgenden Verpflichtung der Gemeinden, auch Eigenbetriebe, Eigengesellschaften und kommunale Beteiligungsgesellschaften bei der Konzessionsvergabe nicht ohne sachlichen Grund zu bevorzugen, überhaupt ein Eingriff in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu sehen sein sollte, sei er jedenfalls verhältnismäßig und verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Pflicht zur diskriminierungsfreien Entscheidung über den Netzbetreiber sei zur Förderung des Wettbewerbs um das für den Betrieb des allgemeinen Versorgungsnetzes notwendige Wegenutzungsrecht im Interesse der Allgemeinheit an einer Verbesserung der Versorgungsbedingungen geeignet und erforderlich. Die Regelung beschränke die Gemeinden auch nicht übermäßig. Sie seien nicht gehindert, sich mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb am Wettbewerb zu beteiligen und auf dieser Grundlage gegebenenfalls den Netzbetrieb selbst zu übernehmen.

Der Ausgangssachverhalt[↑]

Die Gemeinde Titisee-Neustadt hatte mit einem privaten Energienetzbetreiber einen Stromkonzessionsvertrag geschlossen, der zum 31.12 2011 auslief. Um nach Auslaufen des Konzessionsvertrags das Stromnetz im Stadtgebiet selbst betreiben zu können, gründete die Gemeinde zusammen mit einem Partner eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Gleichzeitig forderte die Gemeinde den privaten Energienetzbetreiber und einen Wettbewerber zur Abgabe eines abschließenden Angebots für die Stromkonzession auf. Am Ende entschied sich der Gemeinderat der Gemeinde dafür, den Konzessionsvertrag mit der neu gegründeten Gesellschaft abzuschließen. Nach einer Rüge des privaten Energienetzbetreibers leitete das Bundeskartellamt gegen die Gemeinde ein Verfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und einer Wettbewerbsbeschränkung ein.

Daraufhin erhob die Gemeinde eine Kommunalverfassungsbeschwerde und beantragte die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Verbots direkter Aufgabenerledigung, des Systementscheidungsverbots, sowie des Verbots der Berücksichtigung kommunaler Interessen, die aus Sicht der Gemeinde in der kartellrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck kommen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde der Gemeinde Titisee-Neustadt nicht zur Entscheidung an (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig sei. Sie bezeichne kein im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde rügefähiges Gesetz im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG:

Beschwerdegegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde[↑]

Abs. 1 Nr. 4b GG sowie § 91 Satz 1 BVerfGG sehen als Beschwerdegegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde ein Gesetz des Bundes oder eines Landes vor, worunter neben formellen Gesetzen alle vom Staat erlassenen Rechtsnormen anzusehen sind, die Außenwirkung gegenüber einer Kommune entfalten[6]. Hierunter fallen auch Rechtsverordnungen[7] und Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften[8].

Gerichtliche Entscheidungen können im Verfahren der Kommunalverfassungsbeschwerde hingegen nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt werden[9]. Dem Vorbringen der Gemeinde, dass die von ihr angegriffene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Rechtsnorm anzusehen sei, die Außenwirkung gegenüber den Kommunen entfalte, kann insoweit nicht gefolgt werden. Auch höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung[10].

Zwar ist richterliche Rechtsfindung nicht auf den Vollzug vorgegebener Normen in dem Sinne beschränkt, dass der Richter dabei als bloße „bouche de la loi“, das heißt als „Subsumtionsautomat“ fungieren würde. Vielmehr ist es jeder richterlichen Tätigkeit immanent, dass sie den Inhalt gesetzlicher Normen methodisch interpretiert und deren Anwendungsbereich definiert, um auf der Grundlage des positiven, abstrakt-generell formulierten Gesetzes im Einzelfall über dessen Anwendung zu entscheiden. Auch Rechtsanwendung ist insofern die Erzeugung von neuem, noch nicht bestehendem Recht auf der Grundlage und nach Maßgabe von anzuwendendem Recht, dessen Vorgaben mittels Rechtserkenntnis vom Rechtsanwender zu eruieren sind[11].

Vor diesem Hintergrund wird, worauf die Gemeinde hinweist, in der verfassungs- und verfassungsprozessrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten, dass aus Rechtsschutzgründen und im Hinblick auf die bestehenden (faktischen) Bindungswirkungen auch Richterrecht und Gewohnheitsrecht als zulässige Gegenstände einer Kommunalverfassungsbeschwerde in Betracht kommen[12]. Da durch eine generelle Anerkennung der Rechtsnormqualität gerichtlicher Entscheidungen jedoch die vom Verfassungsgeber vorgenommene Beschränkung der Kommunalverfassungsbeschwerde auf (materielle) Gesetze unterlaufen und die Kommunalverfassungsbeschwerde in eine Urteilsverfassungsbeschwerde umgewandelt würde, was dem Willen des Verfassungs- wie Gesetzgebers ersichtlich zuwiderliefe, kann dies mit Blick auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG allenfalls für Richterrecht gelten, das ein bestimmtes Rechtsgebiet prägt[13].

Wo die Grenze zwischen Rechtsanwendung und eigenständiger Setzung von Richterrecht im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG verläuft, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, da die von der Gemeinde angegriffenen Urteile auf einer Auslegung von § 46 EnWG beruhen und insofern in Anwendung bereits bestehenden Gesetzesrechts gefällt wurden, weswegen ihnen die Qualität selbständiger, im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde rügefähiger Rechtsnormen nicht zukommt.

Durch die mangelnde Angreifbarkeit gerichtlicher Urteile im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde entstehen auch keine Rechtsschutzlücken. Denn zum einen sind die Fachgerichte dazu aufgerufen, in den ihnen zur Entscheidung vorgelegten Verfahren sowohl der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung, die dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) und die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG), den Ländern jedoch die Zuständigkeit für das Kommunalrecht zuweist[14], als auch der besonderen Bedeutung der den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und ihrer Konkretisierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, um bei der Auslegung und Anwendung des Energiewirtschaftsgesetzes wie auch des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen der Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zur Wirksamkeit zu verhelfen. Zum anderen besteht in Fällen, in denen sich die Fachgerichte an verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 28 Abs. 2 und Art. 72, 74 GG nicht hinreichend berücksichtigende Gesetzeslage wegen Art.20 Abs. 3 GG gebunden sehen, die Verpflichtung, nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Verfassungsbeschwerde gegen § 46 EnWG[↑]

Eine Interpretation der Verfassungsbeschwerde dahingehend, dass sie sich unmittelbar gegen § 46 EnWG richtet, beseitigt die Zulässigkeitshindernisse nicht, da die Norm bereits im Jahr 2005 in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen wurde[15] und daher die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG jedenfalls verstrichen ist.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. August 2016 – 2 BvR 2953/14

  1. BGH, Urteil vom 17.12 2013 – KZR 65/12 „Stromnetz Heiligenhafen“; sowie BGHZ 199, 289 „Stromnetz Berkenthin“[]
  2. BGH, Urteil vom 17.12 2013 – KZR 65/12 16 ff.[]
  3. vgl. BGH, a.a.O., Rn. 31[]
  4. vgl. BGH, a.a.O., Rn. 32 ff.[]
  5. vgl. BGHZ 199, 289, 294 Rn. 16[]
  6. vgl. BVerfGE 71, 25, 34; 76, 107, 114; 137, 108, 137 Rn. 63[]
  7. vgl. BVerfGE 107, 1, 8; 110, 370, 383; 137, 108, 137 Rn. 63[]
  8. vgl. BVerfGE 26, 228, 245; 137, 108, 137 Rn. 63[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2013 – 2 BvR 1961/13, 2 BvR 1962/13, 2 BvR 1976/13 3; BVerfGK 3, 219, 221[]
  10. vgl. BVerfGE 84, 212, 227; BVerfG, Beschluss vom 15.07.2015 – 2 BvR 2292/13 70 ff.[]
  11. vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S. 79 f.[]
  12. vgl. Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl.2005, § 70 Rn. 77; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl.2010, Art. 93 Rn.198; die Zulässigkeit bei Gewohnheitsrecht, nicht aber bei Richterrecht bejahend Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl.2014, Art. 93 Rn. 74[]
  13. vgl. etwa zum Arbeitskampfrecht BVerfG, Beschluss vom 15.07.2015 – 2 BvR 2292/13 70[]
  14. vgl. BVerfGE 137, 108, 164 Rn. 132[]
  15. BGBl I S.1970[]