Transportnetzbetreiber – und die Karenzzeiten seiner Führungskräfte

Personen der Unternehmensleitung sowie der zweiten Führungsebene eines Unabhängigen Transportnetzbetreibers dürfen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zum Transportnetzbetreiber für vier Jahre nicht bei anderen Unternehmen des vertikal integrierten Unternehmens, die im Elektrizitätsbereich eine der Funktionen Erzeugung, Verteilung, Lieferung oder Kauf von Elektrizität und im Erdgasbereich eine der Funktionen Gewinnung, Verteilung, Lieferung, Kauf oder Speicherung von Erdgas wahrnehmen oder kommerzielle, technische oder wartungsbezogene Aufgaben im Zusammenhang mit diesen Funktionen erfüllen, oder bei Mehrheitsanteilseignern dieser Unternehmen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens angestellt sein oder Interessens- oder Geschäftsbeziehungen zu diesen Unternehmen oder deren Mehrheitsanteilseignern unterhalten, es sei denn, das Vertragsverhältnis zum Unabhängigen Transportnetzbetreiber wurde vor dem 3.03.2012 beendet.

Transportnetzbetreiber – und die Karenzzeiten seiner Führungskräfte

Diese Karenzzeitenregelungen des § 10c Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 EnWG verstößt nicht gegen höherrangiges Recht[1].

Sachlich werden von § 10c Abs. 6 EnWG Vorschrift nicht nur die Leiter derjenigen Abteilungen erfasst, die sich lediglich in technischer Hinsicht mit Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes befassen, sondern auch die Führungskräfte der zweiten Führungsebene, die umfangreiche Kenntnisse über die technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seinen Zustand haben müssen und die unternehmerischen Entscheidungen der obersten Unternehmensleitung maßgeblich beeinflussen können. Aufgrund dessen dürfen – anders als die Transportnetzbetreiberin meint – die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10c Abs. 6 EnWG nicht dahin verengt werden, dass nur die Fachbereiche erfasst werden, die rein technische, netzbezogene Aufgaben zu erfüllen haben. Vielmehr genügt eine für die Aufgabenerfüllung der entsprechenden Fachabteilung notwendige Kenntnis der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands, verbunden mit einer maßgeblichen Einflussmöglichkeit auf die Entscheidungen der Unternehmensführung, ohne dass damit zugleich verlangt wird, dass der Fachbereich die technischen Aufgaben selbst ausführt[2].

Nach diesen Maßgaben werden die jeweilige Leitung der Bereiche „Abwicklung/Operatives“, „Assetmanagement“, „Netzservice“, „Kapazitäts- und Dienstleistungsmanagement“ und „Prozess- und IT-Management“ sowie auch diejenigen der Fachbereiche „Recht und Regulierung“ und „Kaufmännischer Bereich“ von § 10c Abs. 6 EnWG erfasst.

Die Leiter der Bereiche „Abwicklung/Operatives“, „Assetmanagement“ und „Netzservice“ sind für Betrieb, Wartung und Entwicklung des Netzes im Sinne des § 10c Abs. 6 EnWG verantwortlich. Dies wird auch von der Transportnetzbetreiberin nicht in Frage gestellt. Sie wendet lediglich ein, dass die Leiter dieser Fachbereiche keine (verantwortlichen) Entscheidungen über den Netzbetrieb treffen würden, sondern im Rahmen solcher Entscheidungen eine lediglich vorbereitende, unterstützende und beratende Funktion gegenüber der Geschäftsleitung hätten. Darauf kommt es indes nicht entscheidend an. Insoweit genügt es, dass der jeweilige Bereichsleiter zumindest insoweit maßgeblichen Einfluss auf die entsprechenden unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung hat, dass er bestimmte Planungen aus technischer Sicht vorziehen oder verwerfen kann. Das damit vorhandene Diskriminierungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ist dabei gegeben[3].

Ebenso unterfällt der Leiter des Bereichs „Kapazitäts- und Dienstleistungsmanagement“ dem Anwendungsbereich des § 10c Abs. 6 EnWG.

Diese Abteilung ist für die „netzbezogenen Themen“ des Netzbetriebs im engeren Sinne, wie Kapazitätsvermarktung und Kapazitätsplattformprojekte, Konzeption, Aufbau und Vermarktung sowie alle Marktgebietsthemen, verantwortlich.

Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes voraus. Kapazitätsvermarktung und Kapazitätsplattformprojekte gehören zum Kernbereich des Netzbetriebs. Die Abwicklung der Transportleistungen kann nicht losgelöst von den technischen Eigenschaften und dem Zustand des bestehenden Transportnetzes erfolgen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es unerheblich, dass der Leiter dieses Fachbereichs keine (verantwortlichen) Entscheidungen über den technischen Netzbetrieb trifft. Insoweit genügt es, dass im Rahmen der Aufgabenabwicklung ein hinreichendes Diskriminierungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens besteht. Schließlich bedarf es auch keiner Feststellungen des Beschwerdegerichts zu dem (konkreten) Kenntnisstand des Fachbereichsleiters, weil insoweit eine generalisierende Betrachtungsweise auf der Grundlage der konkreten Aufgabenbeschreibung anzustellen ist.

Entsprechendes gilt für den Leiter des Bereichs „Prozess- und IT-Management“. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Bereich nicht nur für die „allgemeine IT“, sondern auch für netzspezifische IT-Projekte zuständig.

Dieser Aufgabenbereich erfüllt die Anforderungen des § 10c Abs. 6 EnWG, weil die Bewältigung dieser Aufgaben umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands voraussetzt und der Leiter der IT-Abteilung maßgeblichen Einfluss auf die insoweit zu treffenden Entscheidungen der Geschäftsleitung besitzt. Wie der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26.01.2016[4] entschieden hat, bildet die Funktionsfähigkeit und ständige Anpassung der Informationstechnologie eine Kerntätigkeit des Netzbetriebs. Die Entflechtung der Anwendungssysteme und der IT-Infrastruktur stellt deshalb nach § 10a Abs. 5 EnWG, Art. 17 Abs. 5 der Richtlinien 2009/72/EG (im Folgenden: StromRL) und 2009/73/EG (im Folgenden: GasRL) einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dar, um dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten und insbesondere die im IT-Bereich besonders gefährdete Geheimhaltung der gespeicherten Infrastrukturdaten vor einem unberechtigten Zugriff Dritter, d.h. (einzelfallabhängig) auch vor einem Zugriff des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens zu schützen[5].

Desweiteren unterfällt auch der Leiter des Bereichs „Recht und Regulierung“ den Vorgaben des § 10c Abs. 6 EnWG.

Diese Abteilung ist unter anderem für das Regulierungsmanagement, die kaufmännische Regulierung, die Bearbeitung sämtlicher regulierungsrechtlicher Anforderungen, die Beobachtung und Prüfung aktueller Rechts- und regulatorischer Rahmenentwicklungen, die Information und Beratung der Geschäftsführung und das Compliance-Management zuständig.

Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs setzt umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands voraus. Die Rechtsabteilung hat auch maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung. Sie unterzieht deren Vorstellungen einer rechtlichen Prüfung, zeigt Handlungsalternativen auf und bewertet sie nach ihrer rechtlichen Realisierbarkeit und ihren – auch wirtschaftlichen – Folgen; regelmäßig bereitet die Rechtsabteilung auch künftige Entscheidungen vor, sei es, dass sie Verhandlungen für künftige Verträge führt, sei es, dass sie die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens gegenüber behördlichen Eingriffen zu wahren sucht[6]. Damit ist ein hinreichendes Diskriminierungspotential im Hinblick auf eine Bevorzugung der Interessen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens vorhanden. Dass sich die Geschäftsleitung im Einzelfall über Handlungsempfehlungen der Rechtsabteilung hinwegsetzen mag, ändert daran bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise nichts[7].

Schließlich ist auch der Leiter der Abteilung „Kaufmännischer Bereich“ der Karenzzeitenregelung des § 10c Abs. 6 EnWG unterworfen.

Der Fachbereich ist nach den Angaben der Transportnetzbetreiberin für die Geschäftsbuchhaltung, die Erstellung der Monats- und Jahresabschlüsse, die Etablierung und den Ausbau der Instrumente der Unternehmensplanung und steuerung sowie des Unternehmens- und Risiko-Controllings, für die Planung und das Controlling von Projekten zur Sicherstellung einer effizienten Investitions- und Mittelverwendung sowie für Personalbetreuung, entwicklung und abrechnung zuständig.

Die Erfüllung dieses Aufgabenbereichs ist ohne umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands nicht denkbar. Anders als das Beschwerdegericht meint, ist nicht entscheidend, ob der Einfluss dieser Abteilung auf finanzielle Mittel, auf Buchhaltung und Jahresabschluss sowie Personal genügt, um eine Steuerung des Netzbetriebs oder der Netzentwicklung i.S.d. § 10c Abs. 6 EnWG anzunehmen. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Leiter der Abteilung umfangreiche Kenntnisse der technischen Eigenschaften des Transportnetzes und seines Zustands haben muss und die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung maßgeblich beeinflussen kann. Dies ist bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise zu bejahen. Die Entflechtung der Buchhaltung und des Rechnungswesens stellt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 10a Abs. 7 EnWG, Art. 17 Abs. 2 Buchst. h, Abs. 6 StromRL/GasRL einen Schwerpunkt des Maßnahmepakets des Gesetz- und Richtliniengebers im Rahmen des Modells des Unabhängigen Transportnetzbetreibers dar, um dessen Unabhängigkeit und insbesondere die im Rechnungswesen besonders zu fordernde Vertraulichkeit der wirtschaftlich sensiblen Informationen zu gewährleisten[8].

Die Abteilung hat auch nicht nur eine rein unterstützende Funktion. Vielmehr werden durch diesen Fachbereich Entscheidungen der Unternehmensleitung der Transportnetzbetreiberin nicht nur vorbereitet, sondern auch inhaltlich beeinflusst. Dabei handelt es sich um Kernaufgaben, die für den Netzbetrieb zwingend erforderlich sind.

  1. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn.19 ff. – Karenzzeiten; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 06.07.2016 – 1 BvR 1016/16 – nicht zur Entscheidung angenommen[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn. 46 f. – Karenzzeiten[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn. 69 – Karenzzeiten[]
  4. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn. 72 f. – Karenzzeiten[]
  5. vgl. BGH, Beschluss aaO Rn. 72 – Karenzzeiten[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn. 86 mwN – Karenzzeiten[]
  7. vgl. BGH, Beschluss aaO – Karenzzeiten[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2016 – EnVR 51/14 Rn. 80 – Karenzzeiten[]