Mit der Eintragung in die im Internet frei zugängliche und für jedermann einsehbare Unterstützerliste für eine Kampagne, welche die Störung eines öffentlichen Betriebs i.S.v. § 316b Abs. 1 Nr. 1 StGB beabsichtigt, fordert der Unterzeichner gemäß § 111 StGB öffentlich zu einer Straftat auf, wenn der mitunterzeichnete Aufruf die Schwelle von der Meinungsäußerung oder der bloßen Befürwortung von Straftaten zur strafrechtlich relevanten Aufforderung überschritten hat. Eine solche Aufforderung liegt vor, wenn der Aufruf für einen unvoreingenommenen Dritten durch seine detaillierte Beschreibung der angesonnenen Handlung als ernst gemeinter Appell zu verstehen ist, an einem bestimmten Tattag und an einem bereits festgelegten Tatort die in dem Aufruf näher bezeichnete strafbare Handlung zu begehen.

Dem Appellcharakter der Unterzeichnung steht es nicht entgegen, dass es sich bei einer Erklärung im Internet um eine fremde, im Ursprung nicht vom Unterzeichner stammende Erklärung handelt. Eine Aufforderung nach § 111 StGB ist bereits dann anzunehmen, wenn der Täter unmissverständlich erkennen lässt, dass er sich die fremde Äußerung zu eigen macht.
Unter einer Aufforderung i. S. des § 111 Abs. 1 StGB ist jede – auch konkludente – Kundgebung zu verstehen, die erkennbar darauf abzielt, die Aufgeforderten unmittelbar zur Begehung bestimmter rechtswidriger Straftaten zu motivieren[1]. Hierzu genügt jedoch nicht eine schlichte Information, eine politische Unmutsäußerung oder Provokation oder ein Anreizen im Sinne berechnender Stimmungsmache[2]. Ausreichend ist auch nicht die bloße Befürwortung von Straftaten, vielmehr ist eine hierüber hinausgehende bewusst-finale Einwirkung auf Andere mit dem Ziel erforderlich, in diesen den Entschluss zu bestimmten strafbaren Handlungen hervorzurufen[3]. Charakteristisch für eine Aufforderung i. S. von § 111 StGB ist, dass die Erwünschtheit des angesonnenen kriminellen Geschehens deutlich wird. Folglich muss die Äußerung Appellcharakter haben, also den Wunsch der Realisierung der Tat zum Ausdruck bringen[4].
Ob einer Bekundung Appellcharakter zukommt, ist durch die Auslegung der Erklärung im Lichte des Grundrechts der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu messen. Bei der Auslegung ist der Inhalt der Erklärung vor dem Hintergrund des gesamten Kontextes, in dem sie steht, mit zu berücksichtigen, namentlich kommt es auf das gesellschaftliche, soziale und politische Geschehen an[5]. Eine derart verfassungskonforme Auslegung darf nicht am Wortlaut der Äußerung verhaften, sich insbesondere nicht auf einzelne – wenn auch überpointierte – Formulierungen beschränken. Abzustellen ist vielmehr darauf, wie die Erklärung von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird[6]. In die vorzunehmende Abwägung ist schließlich auch die Schwere der (drohenden) Beeinträchtigung der in Rede stehenden Rechtsgüter einzubeziehen.
Gemessen an diesen Maßstäben ist gegen die rechtliche Bewertung der Erklärung des Angeklagten als Aufforderung i. S. von § 111 StGB nichts zu erinnern.
Der von dem Angeklagten mitunterzeichnete Aufruf hat die Schwelle von der Meinungsäußerung oder der bloßen Befürwortung von Straftaten zur strafrechtlich relevanten Aufforderung überschritten. Der BGH hat in langjährig gefestigter Rechtsprechung[7] immer wieder betont, dass die Äußerung, eine Straftat sei begrüßenswert, erwünscht, notwendig oder unvermeidbar, ohne eine Verknüpfung mit einer deutlichen, unmittelbaren Motivierung und einem appellativ-imperativen Erklärungscharakter zur Begehung einer zeitlich und örtlich bestimmten Straftat lediglich eine Befürwortung von Straftaten ist, die den Tatbestand des § 111 StGB nicht erfüllt[8]. Um eine bloße Befürwortung von Straftaten handelt es sich indes bei dem von dem Angeklagten mitunterzeichneten Aufruf nicht. Dass es von den Unterzeichnern konkret erwünscht und ernstlich erstrebt wurde, dass es tatsächlich zum Entfernen von Gleisschotter aus der Gleisanlage kommt, ist bereits an der detaillierten Beschreibung der „Schotter-Handlung“ (wörtlich und bildlich) ersichtlich. Der Aufruf richtet sich ganz gezielt auf eine reale Umsetzung des Angesonnenen. Formulierungen wie „Wir unterstützen bei der Organisation und Koordination“ oder „Wenn Ihr es nicht schafft Euch vorher vorzubereiten, wird es auch im Wendland selbst in den Camps noch möglich sein, sich der Aktion anzuschließen“ zeigen deutlich auf, dass der entscheidende Schwerpunkt der Erklärung nicht in der Mühe um Unterstützung im politischen Streit oder der Sensibilisierung bisher anders Denkender liegt. Der Aufruf ist vielmehr für einen unvoreingenommenen Dritten als ernst gemeinter Appell zu verstehen, an einem bestimmten Tattag und an einem bereits festgelegten Tatort die in dem Aufruf näher bezeichnete strafbare Handlung zu begehen. Die Erklärung erfüllt überdies das Erfordernis, eine unbestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar zur Begehung bestimmter rechtswidriger Taten zu motivieren[9]. Es handelt sich um eine realisierbare Handlungsanweisung an die Adressaten der Erklärung, welche – als unmittelbare Konsequenz der Aufforderung – im Sinne einer Tathandlung umgesetzt werden kann. Indem der Aufruf unmissverständlich klarstellt, dass die Aktion im Rahmen des Castortransports im November 2010 stattfinden und eine Beteiligung auch noch von den Camps im Wendland aus möglich sein soll, sind Tatzeit und Tatort – nämlich die Bahnstrecke zum Zwischenlager Gorleben – so konkret dargestellt, dass es des Vorliegens weiterer Bedingungen oder Voraussetzungen nicht mehr bedarf.
Dieser rechtlichen Würdigung steht es nicht entgegen, dass es sich bei der Erklärung im Internet um eine fremde, im Ursprung nicht vom Angeklagten stammende Erklärung handelt. Eine Aufforderung nach § 111 StGB ist nämlich auch dann anzunehmen, wenn der Täter unmissverständlich erkennen lässt, dass er sich die fremde Äußerung zu eigen macht[10]. Eine solche Zueigenmachung kann durch die Art und Weise der Wiedergabe der Erklärung, durch eine ausdrückliche Identifizierung mit der Äußerung, durch eine Zusatzerklärung oder Ähnliches erfolgen[11]. Mit der Eintragung seines Namens in der Liste „Unterzeichnung“ hat der Angeklagte vor dem Kontext der Erklärung „Was können alle tun? Ihr macht Euch die Idee von Castorschottern zu eigen. Mit Eurem Namen tragt Ihr die Absichtserklärung der Kampagne mit. Hier könnt Ihr unterzeichnen“ nach außen hin für jedermann erkennbar unmissverständlich die fremde Äußerung sich zu eigen gemacht.
Dadurch, dass sowohl die Internetseite mit dem Aufruf als auch die Unterschriftenliste frei zugänglich und für jedermann sichtbar waren, sind die Voraussetzungen für eine eigene öffentliche Aufforderung des Angeklagten erfüllt. Soweit die Revision beanstandet, es habe keine tatsächliche und vor allem keine optische Verbindung zwischen der Erklärung und der Liste der sich diese Erklärung zu eigen machende Personen gegeben, ist dies urteilsfremder Vortrag, mit dem der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren nicht gehört werden kann.
Der Angeklagte hat auch zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert. Die angesonnene Entfernung von Gleisschotter aus dem Gleisbett, bis dieses unterhöhlt und für den Castor-Transportzug unbefahrbar ist, stellt eine rechtswidrige Tat im Sinne einer Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar[12]. Die Deutsche Bahn AG ist ein öffentliches Verkehrsunternehmen und die betroffenen Gleisanlagen dienen auch im Zeitpunkt des Castor-Transportes dem öffentlichen Verkehr. Dass die Gleise in diesem Zeitpunkt ausschließlich dem Castor-Transport zur Verfügung standen, ist lediglich eine vorübergehende besondere Nutzung, die die allgemeine Zweckbestimmung der Betriebsanlagen zum öffentlichen Verkehr nicht entfallen lässt[13].
Die Feststellungen des Amtsgerichtes tragen den Schuldspruch auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite. Zur Verwirklichung des § 111 StGB genügt nach ganz überwiegender Auffassung bedingter Vorsatz[14]. Die vereinzelte Ansicht, es sei eine Absicht hinsichtlich der zu begehenden rechtswidrigen Tat zu fordern[15], findet im Gesetz keine Stütze[16]. Das Amtsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der Darstellung der Internetseite und ihrer vollständigen Lektüre durch den Angeklagten diesem bewusst war, dass der Aufruf öffentlich erfolgte und dass er sich mit seiner Eintragung in die Unterschriftenliste den Aufruf zu eigen machte. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Aufforderung ernst genommen wird, was gerade Zweck der Eintragung in die Unterschriftenliste war.
Rechtfertigungsgründe greifen zugunsten des Angeklagten nicht ein. Für eine Rechtfertigung nach § 34 StGB fehlt es jedenfalls daran, dass das vom Angeklagten gewählte Mittel – nämlich öffentlich zu einer Unterhöhlung von Gleisanlagen zu deren Unbrauchbarmachung aufzurufen – nicht als das relativ mildeste Mittel zur Abwendung der von der Atomkraft im Allgemeinen und von einem Castor-Transport im Besonderen ausgehenden Gefahren angesehen werden kann[17]. Dem Angeklagten steht eine Vielzahl anderer Möglichkeiten zur Verfügung, seine Argumente gegen die Nutzung der Atomenergie und gegen die Durchführung des Transportes von Castoren in der Öffentlichkeit kundzutun und andere von seiner Meinung zu überzeugen, sei es auf politischem Wege, als Mitglied einer Institution, in der er seine Ziele vertreten sieht, oder durch die Teilnahme an einer Aktion mit demonstrativem Charakter, die nicht in die Rechtsgüter Anderer eingreifen.
Auch lässt sich ein Rechtfertigungsgrund nicht aus Art. 5 GG ableiten[18]. Die grundrechtlichen Garantien des Art. 5 GG haben vielmehr nach Ansicht des ObBerlandesgerichts Celle (nur) auf Tatbestandsebene ihre Berücksichtigung bei der verfassungskonformen Auslegung der Tatbestandsmerkmale und insbesondere des Merkmals der Aufforderung zu finden[19].
Oberlandesgericht Celle – Beschluss vom 14. März 2013 – 32 Ss 125/12
- vgl. hierzu RGSt 4, 106, 108; BGHSt 32, 310, 311; OLG Karlsruhe NStZ 1993, 389 ff.; Bosch in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 111 Rdnr. 6; LK-Rosenau, StGB, 12. Aufl., § 111 Rdnr. 17; Fischer, StGB, 60. Aufl. § 111 Rdnr. 2 a ff.[↩]
- so schon RGSt 47, 411 ff. und RGSt 63, 170 ff.[↩]
- vgl. BGHSt 28, 312 ff.; BGHSt 32, 310 f.[↩]
- vgl. BayObLG NJW 1994, 396 ff.; OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Köln NJW 1988, 1102 ff.; Bosch in MünchKomm-StGB, a. a. O., § 111 Rdnr. 7; LK-Rosenau a. a. O. § 111 Rdnr. 18[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266, 297[↩]
- vgl. BGH NJW 2000, 3421 ff.[↩]
- vgl. BGHSt 28, 312 ff.; 32, 310 f.[↩]
- vgl. auch LK-Rosenau, § 111 Rdnr.19[↩]
- vgl. hierzu OLG Stuttgart NStZ 2008, 36 ff.; OLG Karlsruhe a. a. O.; Bosch in MK-StGB, § 111 Rdnr. 6; LK-Rosenau, § 111 Rdnr. 18[↩]
- vgl. BGHSt 36, 363 f.; BayObLG NJW 1998, 1087 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 327 f.; Fischer § 111 Rdnr. 2 a; Schönke/Schröder-Eser, StGB, 28. Aufl. § 111 Rdnr. 3; LK-Rosenau, § 111 Rdnr. 26[↩]
- LK-Rosenau § 111 Rdnr. 26[↩]
- OLG Celle, Urteil vom 12.08.2003 – 22 Ss 86/03 -; BVerfG Nds.Rpfl.2006, 58 f.[↩]
- vgl. BVerfG Nds.Rpfl.2006, 58 f.[↩]
- OLG Frankfurt a. a. O.; LK-Rosenau § 111 Rdnr. 66, SK-Horn, § 111 Rdnr. 14; Fischer, StGB, § 111 Rdnr. 6[↩]
- so aber Schönke-Schröder-Eser, § 111 Rdnr. 17[↩]
- LK-Rosenau § 111 Rdnr. 66; Fischer, StGB, § 111 Rdnr. 6[↩]
- vgl. auch LG Dortmund, NStZ-RR 1998, 139 ff.[↩]
- vgl. LG Dortmund a. a. O.; LG Mainz NJW 2000, 2220 f.; LK-Rosenau § 111 Rdnr. 68; Bosch in MünchKomm-StGB § 111 Rdnr. 29[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 198, 210 ff.; BVerfGE 93, 266, 297; Bosch in MünchKomm-StGB § 111 Rdnr. 29; LK-Rosenau § 111 Rdnr. 68[↩]







