Besitzeinweisung für eine LNG-Energietransportleitung

Bei der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG i. V. m. § 44b Abs. 1a EnWG werden die Eigentumsrechte der betroffenen Grundstückseigentümer dadurch hinreichend gewahrt, dass sie im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens geprüft werden und die Besitzeinweisung in ihrer Wirksamkeit von der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses abhängig ist. Bei der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG i. V. m. § 44b Abs. 1a EnWG ist keine Prognoseentscheidung über die voraussichtliche Rechtmäßigkeit des ihr zugrundeliegenden Planfeststellungsbeschlusses anzustellen.

Besitzeinweisung für eine LNG-Energietransportleitung

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich entschiedenen Fall begehren die beiden klagenden Landwirte die Aufhebung des Besitzeinweisungsbeschlusses des Beklagten. Mit dem angegriffenen Beschluss hat die Enteignungsbehörde des Landes Schleswig-Holstein die Netzbetreiberin Gasunie für den Bau und Betrieb der Energietransportleitung 180 Brunsbüttel-Hetlingen entsprechend den Vorgaben eines zu erwartenden Planfeststellungsbeschlusses in den Besitz von Teilen der im Eigentum des klagenden Landwirtes zu 1 stehenden landwirtschaftlichen Grundstücke eingewiesen. Der klagenden Landwirte zu 2 ist Pächter eines dieser Grundstücke. Mit der vorzeitigen Besitzeinweisung ist es der Netzbetreiberin grundsätzlich möglich geworden, noch vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und vor der Enteignung entsprechender Grundstücksteile der klagenden Landwirte mit dem Bau der Anlage zu beginnen. Die Anlage stellt nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz einen Teil derjenigen Vorhaben dar, die durch den Aufbau einer LNG-Infrastruktur den Wegfall russischer Gaslieferungen kompensieren sollen.

Gleichzeitig mit der Klage haben die klagenden Landwirte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt, den das Bundesverwaltungsgericht bereits im Februar 2023 abgelehnt hat[1]. Der Planfeststellungsbeschluss ist unter dem 22.03.2023 ergangen und von den klagenden Landwirten ebenfalls angefochten worden[2]. Das Verfahren ist noch anhängig. Der Antrag der klagenden Landwirte auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Planfeststellungsbeschluss ist vor dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ohne Erfolg geblieben[3].

Die Klage hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Erfolg, das Bundesverwaltungsgericht befand sie als zulässig, aber unbegründet:

Zulässigkeit der Klage

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet. Dies folgt schon daraus, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO handelt, ohne dass eine abdrängende Sonderzuweisung besteht. Namentlich besteht keine bundesrechtliche Sonderzuweisung zu den Baulandkammern der Landgerichte. Soweit das Oberlandesgericht Celle dies in dem von den klagenden Landwirten angeführten Urteil vom 26.02.1999[4] anders gesehen hat, beruhte dies auf der Anwendung der seinerzeitigen Fassung von § 41a Abs. 7 NdsStrG, der nach Auffassung des Oberlandesgerichts wegen einer Regelungslücke im Bundesfernstraßengesetz anwendbar war.

Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG ist ebenfalls keine hier einschlägige bundesrechtliche Sonderzuweisung. Er eröffnet den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nur für Streitigkeiten über die Entschädigung im Falle der Enteignung. Streitgegenstand ist hier weder eine Enteignung noch die sich hieran anschließende Entschädigungszahlung.

Schließlich verweist die maßgebliche Norm des § 44b des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 07.07.2005[5], zuletzt geändert durch Gesetz vom 08.10.2023[6], in ihrem Absatz 7 Satz 2 ausdrücklich auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und damit auf Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte[7].

Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus § 12 Satz 1 und 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNG-Beschleunigungsgesetz – LNGG)[8], in der hier anzuwendenden Fassung vom 08.10.2022[9]. Gemäß § 12 Satz 1 LNGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und im letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben nach § 2 dieses Gesetzes. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 LNGG gilt dieses Gesetz u. a. für Leitungen, die der Anbindung von Anlagen nach Nummer 1 oder Nummer 2 an die Gasversorgungsnetze dienen (LNG-Anbindungsleitungen), soweit diese Vorhaben in der Anlage zu diesem Gesetz aufgeführt sind (§ 2 Abs. 2 LNGG). § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 erfassen u. a. schwimmende und landgebundene Anlagen zur Einfuhr, Entladung, Lagerung und Wiederverdampfung verflüssigten Erdgases. Nr. 1.3 der Anlage benennt für Leitungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 LNGG in Brunsbüttel die Standorte German LNG Terminal und Hafen als Anschlusspunkte für das Gasleitungsnetz. Mit dem Standort Hafen wird der Anschlusspunkt für die geplante schwimmende FSRU-Anlage und mit dem Standort German LNG Terminal der Anschlusspunkt für das landgebundene LNG-Terminal in Brunsbüttel genannt[10].

Die Vorschriften erfassen nicht nur die eigentlichen Zulassungsentscheidungen, sondern auch begleitende Entscheidungen wie die vorzeitige Besitzeinweisung. Das findet seinen Ausdruck – über die Bezugnahme auf „sämtliche Streitigkeiten über Vorhaben“ in § 12 Satz 1 LNGG hinaus – in § 12 Satz 2 Nr. 1 LNGG, wonach Satz 1 auch auf die für den Betrieb der genannten Vorhaben notwendige Anlagen bezogene Zulassungen des vorzeitigen Baubeginns und Anzeigeverfahren anzuwenden ist. Die Vorschrift ist weit auszulegen, weil nur so die vom Gesetz beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung erreicht werden kann. Sie umfasst neben dem durch § 44c EnWG geregelten vorzeitigen Baubeginn auch die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 44b EnWG. Die Nichterwähnung der vorzeitigen Besitzeinweisung ist ein offensichtliches Redaktionsversehen. Denn nur wenn beide Instrumente einheitlich behandelt und gegebenenfalls vor Gericht überprüft werden, kann die Zielsetzung des LNG-Beschleunigungsgesetzes erreicht werden, das nach seinem § 1 Abs. 1 der zügigen Einbindung verflüssigten Erdgases in das bestehende Fernleitungsnetz dient und dazu auf eine schnellstmögliche Durchführung der Vorhaben nach § 2 Abs. 2 LNGG zielt (vgl. § 3 Satz 3 LNGG). Entsprechend soll eine Aufteilung des Rechtsschutzes auf verschiedene Instanzen und Gerichte gerade vermieden werden. § 12 Satz 2 LNGG dient diesem Zweck, indem er Streitigkeiten umfassend dem Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz überträgt[11].

Den klagenden Landwirten mangelt es – unabhängig vom Baufortschritt – nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Eingriff in ihr Eigentum besteht durch die vorzeitige Besitzeinweisung fort[12].

(Un-)Begründetheit der Klage

Der angefochtene Besitzeinweisungsbeschluss ist rechtmäßig und verletzt die klagenden Landwirte nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG hat die Enteignungsbehörde den Träger des Vorhabens auf Antrag nach Feststellung des Plans oder Erteilung der Plangenehmigung in den Besitz einzuweisen, wenn der sofortige Beginn von Bauarbeiten geboten ist und der Eigentümer oder Besitzer sich weigert, den Besitz eines für den Bau, die Änderung oder Betriebsänderung von Hochspannungsfreileitungen, Erdkabeln oder Gasversorgungsleitungen im Sinne des § 43 EnWG benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift müssen der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung vollziehbar sein. Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht (Satz 3).

Der Besitzeinweisungsbeschluss ist formell rechtmäßig. Insbesondere begegnet die Durchführung einer Online-Konsultation anstatt einer mündlichen Verhandlung keinen rechtlichen Bedenken. § 44b Abs. 2 EnWG sieht vor, dass die Enteignungsbehörde spätestens sechs Wochen nach Eingang des Antrags auf Besitzeinweisung mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln hat. Gemäß § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie (Planungssicherstellungsgesetz – PlanSiG)[13], genügt allerdings die Durchführung einer Online-Konsultation nach § 5 Abs. 4 PlanSiG, wenn in Verfahren nach den in § 1 PlanSiG genannten Gesetzen die Durchführung eines Erörterungstermins oder einer mündlichen Verhandlung angeordnet ist, auf die nach den dafür geltenden Vorschriften nicht verzichtet werden kann. Die Verfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz sind in § 1 Satz 1 Nr. 9 PlanSiG aufgeführt. Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 EnWG ist die Durchführung der mündlichen Verhandlung verpflichtend. Dass im Rahmen der Durchführung der Online-Konsultation Rechte der klagenden Landwirte nicht hinreichend gewahrt worden sind, wird von diesen nicht vorgetragen.

Der sofortige Beginn der Bauarbeiten war geboten. Davon ist auszugehen, wenn das Interesse der Allgemeinheit oder des Vorhabenträgers an dem sofortigen Beginn der Ausführung des Energieleitungsvorhabens das private Interesse des Betroffenen, von der Besitzeinweisung verschont zu werden, überwiegt[14]. Ein solches Überwiegen ist in der Regel dann anzunehmen, wenn dem Vorhaben eine gewisse Dringlichkeit innewohnt, wobei die Bedeutung des Vorhabens Indizwirkung entfalten kann[15].

Die besondere Dringlichkeit der Vorhaben nach dem LNG-Beschleunigungsgesetz ist in § 3 Satz 1 LNGG durch den Gesetzgeber festgelegt worden. Im Übrigen hat der Beklagte im Besitzeinweisungsbeschluss ausführlich dargelegt, dass die Bauarbeiten nach der vorgesehenen Terminkette unmittelbar bevorstehen. Außerdem hat er das erhebliche öffentliche Interesse am baldigen Bau der Energieleitungen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der daraus resultierenden Einstellung russischer Gaslieferungen an die Bundesrepublik Deutschland hervorgehoben. Auf die Ausführungen auf Seite 16 bis 18 des Besitzeinweisungsbeschlusses wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen. Dort geht der Besitzeinweisungsbeschluss in dem für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses zu Recht von einer Krise der Gasversorgung aus. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 30.03.2022 die Frühwarnstufe und am 23.06.2022 die weiterhin geltende Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Nach dem von dem damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf der Grundlage von Art. 8 der Verordnung (EU) 2017/1938 vom 25.10.2017 beschlossenen Notfallplan Gas rechtfertigen u. a. gravierende Reduzierungen von Gasströmen an wichtigen physischen Einspeisepunkten und der Ausfall von wichtigen Aufkommensquellen, die Ausrufung der Alarmstufe. Sowohl im Zeitpunkt der Anordnung der Alarmstufe als auch im Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses lagen beide Voraussetzungen vor[16]. Dem ist auch nicht mit dem Argument zu begegnen, dass inzwischen die deutschen Gasspeicher hinreichend, nämlich über 90 % gefüllt sind. Denn die Dringlichkeit des Baus der Gasversorgungsleitung kommt gerade mit Blick auf künftige Heizperioden zur Geltung. Die Vorbereitung auf den Winter 2023/2024 wird von der Bundesnetzagentur als eine bleibende zentrale Herausforderung bezeichnet[17].

Die klagenden Landwirte haben sich auch im Sinne des § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG geweigert, die maßgeblichen Flächen der Netzbetreiberin freiwillig zu überlassen. Eine Weigerung ist zwar nicht schon dann anzunehmen, wenn es nicht sofort zu einer Besitzüberlassung kommt, sondern zunächst zwischen den Grundstückseigentümern oder -besitzern und dem Vorhabenträger Gespräche stattfinden. Dies ist im Vorfeld durchaus gewollt. Von einer Weigerung ist aber dann auszugehen, wenn der Vorhabenträger dem Eigentümer oder Besitzer durch ein entsprechendes Angebot die Möglichkeit eröffnet hat, die Überlassung des Besitzes unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche durch eine Vereinbarung im Sinne des § 854 Abs. 2 BGB herbeizuführen und dieser das Angebot nicht angenommen hat[18]. Auf ein entsprechendes Angebot der Netzbetreiberin sind die klagenden Landwirte im Oktober 2022 nicht eingegangen. Nach den Ausführungen im Besitzeinweisungsbeschluss haben sie diese Ablehnung im Verfahren der Online-Konsultation wiederholt.

Schließlich sind auch die Anforderungen an die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses erfüllt.

§ 44b Abs. 1 Satz 2 EnWG sieht als Regelfall für die vorzeitige Besitzeinweisung die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses vor. Diese war hier zum Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses am 21.12.2022 nicht gegeben. Der Erlass des Planfeststellungsbeschlusses wurde seinerzeit erst für März 2023 erwartet; tatsächlich ist er am 22.03.2023 ergangen.

Daneben sieht § 44b Abs. 1a Satz 1 EnWG die Möglichkeit vor, die Besitzeinweisung bereits nach Abschluss des Anhörungsverfahrens nach § 43a EnWG durchzuführen. In diesem Fall ist gemäß Satz 2 der Vorschrift der Besitzeinweisungsbeschluss mit der aufschiebenden Bedingung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss bestätigt wird. Noch weitergehend gestattet § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG, dass der Vorhabenträger bereits nach Ablauf der Einwendungsfrist verlangen kann, dass das Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b EnWG durchgeführt wird. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers wird die Behörde auch zu so einem frühen Zeitpunkt ausreichend Kenntnisse über das Vorhaben haben, um eine Prognoseentscheidung treffen zu können[19]. In diesen Fällen wird von der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung gesprochen.

Die Einwendungsfrist lief hier bereits am 1.08.2022 ab, also rund drei Monate, bevor die Netzbetreiberin den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung gestellt hat. Die Wirksamkeit der Besitzeinweisung ist zudem von der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses abhängig gemacht worden.

Diese Möglichkeit der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung stellt keine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG dar. Die klagenden Landwirte sind insoweit – zum Teil unter Verweis auf den hier nicht einschlägigen § 31e BImSchG und dazu ergangener Literatur[20] – der Auffassung, dass durch das Instrument der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung die Möglichkeit besteht, vollendete Tatsachen zulasten ihres Eigentums zu schaffen, ohne dass zuvor – wegen des begrenzten Prüfprogramms bei Besitzeinweisungsbeschlüssen (§ 44b Abs. 1 Satz 3 EnWG) – die Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts hinreichend geprüft wird und insbesondere die Möglichkeit zu effektivem Rechtsschutz besteht. Die klagenden Landwirte übersehen bei dieser Argumentation, dass die Wirksamkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses und damit die Möglichkeit für den Vorhabenträger, den tatsächlichen Besitz zu erlangen, einen vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss voraussetzt. Gemäß § 44b Abs. 1a Satz 3 EnWG ist der Besitzeinweisungsbeschluss im Verfahren der vorzeitigen Besitzeinweisung mit der aufschiebenden Bedingung zu erlassen, dass sein Ergebnis durch den Planfeststellungsbeschluss bestätigt wird. Hiervon kann nur die Rede sein, wenn ein erlassener Planfeststellungsbeschluss auch vollziehbar ist (vgl. § 44b Abs. 1 Satz 2 EnWG). Das Verfahren der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 44b Abs. 1a EnWG und § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG nimmt damit nicht Rechtsfolgen der Planfeststellung vorweg, sondern ermöglicht es nur, das Verfahren im Vorfeld zu beschleunigen. Nach diesen Vorschriften kann das Verfahren der Besitzeinweisung ab einem bestimmten Zeitpunkt bereits parallel zum Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Der Vorhabenträger trägt dabei das Risiko, dass ein Planfeststellungsbeschluss nicht demjenigen entspricht, der zum Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses erwartet wurde. In diesem Fall muss er das Ergänzungsverfahren nach § 44b Abs. 1a Satz 4 EnWG durchführen; die Wirksamkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses verzögert sich entsprechend[21].

Aus dieser Abhängigkeit der Besitzeinweisung von der Planfeststellung folgt, dass Eigentumsrechte hinreichend geschützt sind. Denn diese sind im Planfeststellungsverfahren in die Abwägung einzustellen und können zum Gegenstand von hiergegen gerichtetem gerichtlichem Rechtsschutz einschließlich vorläufigem – im Erfolgsfall zur Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses führendem – Rechtsschutz gemacht werden. Einer doppelten Prüfung bedarf es daher nicht.

Das gilt auch, soweit nach § 44b Abs. 1a Satz 2 EnWG die Enteignungsbehörde den nach dem Verfahrensstand zu erwartenden Planfeststellungsbeschluss dem vorzeitigen Besitzeinweisungsverfahren zugrunde zu legen hat. Hierbei geht es nämlich allein darum, die voraussichtliche Trassenführung vorherzusagen, weil abhängig von dieser Besitzeinweisungen andere Grundstücke oder andere Teile von Grundstücken betreffen[22]. Einer auf den zu erwartenden Planfeststellungsbeschluss bezogenen prognostischen Rechtmäßigkeitsprüfung bedarf es demgegenüber nicht[23]. Die Rechte der Betroffenen werden hinreichend durch die Prüfung im Planfeststellungsverfahren gewahrt. Eine Doppelzuständigkeit von Planfeststellungsbehörde und der für die Besitzeinweisung zuständigen Enteignungsbehörde in Bezug auf die Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass eines rechtmäßigen Planfeststellungsbeschlusses ist darüber hinaus auch deshalb abzulehnen, weil eine Mehrfachprüfung dem Beschleunigungszweck der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung zuwiderliefe. Hinzu kommt, dass es das Rechtsstaatsprinzip gebietet, Kompetenzen nur einer Behörde einzuräumen und Doppelbeauftragungen zu vermeiden[24].

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass inzwischen die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses gegeben ist und damit die Voraussetzungen des regulären Besitzeinweisungsverfahrens gemäß § 44b Abs. 1 EnWG erfüllt sind. Auch wenn zunächst von der Netzbetreiberin das Verfahren der vor-vorzeitigen Besitzeinweisung mit seinen besonderen, sich aus § 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG i. V. m. § 44b Abs. 1a EnWG ergebenden Voraussetzungen gewählt wurde und grundsätzlich der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit derjenige des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses ist, muss hier der spätere Erlass eines vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses berücksichtigt werden können. Es wäre mit der grundrechtlichen Stellung des Vorhabenträgers nicht vereinbar, eine vor-vorzeitige Besitzeinweisung aufzuheben, wenn die reguläre Besitzeinweisung aufgrund eines neuen Antrags sofort zu gewähren wäre[25]. Der Planfeststellungsbeschluss ist am 22.03.2023 ergangen. Vorläufiger Rechtsschutz hiergegen ist ohne Erfolg geblieben[26].

Die Besitzeinweisung unterliegt gemäß § 44b Abs. 1 Satz 3 EnWG keinen weiteren Voraussetzungen als § 44b Abs. 1 Satz 1 und 2 EnWG dies vorsehen. Zahlreiche Einwände der klagenden Landwirte etwa betreffend die Trassenführung sind hier ohne Belang. Sie sind Gegenstand der Prüfung des der Besitzeinweisung zugrundeliegenden Planfeststellungsbeschlusses.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 7 A 2.23

  1. BVerwG, Beschluss vom 10.02.2023 – 7 VR 1.23, NVwZ 2023, 1176[]
  2. BVerwG – 7 A 5.23[]
  3. BVerwG, Beschluss vom 22.06.2023 – 7 VR 3.23, NVwZ 2023, 1657[]
  4. OLG Celle, Urteil vom 26.02.1999 – 4 U 169 Baul/98 – NuR 1999, 476[]
  5. BGBl. I S.1970, 3621[]
  6. BGBl.2023 I Nr. 272[]
  7. vgl. Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl.2019, § 44b Rn. 23; Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Juni 2023, § 44b EnWG Rn. 28[]
  8. vom 24.05.2022, BGBl. I S. 802[]
  9. BGBl. I S. 1726[]
  10. vgl. PFB S. 81 f. sowie BVerwG, Beschluss vom 22.06.2023 – 7 VR 3.23, NVwZ 2023, 1657 Rn. 12[]
  11. BT-Drs.20/1742 S. 38; vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.06.2023 – 4 VR 4.23 -Rn. 9 ff.[]
  12. vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13, NVwZ 2017, 149 Rn. 17[]
  13. vom 20.05.2020, BGBl. I S. 1041, zuletzt geändert durch Gesetz vom 08.12.2022, BGBl. I S. 2234[]
  14. Hermes, in: Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 4. Aufl.2023, § 44b Rn. 11; Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Juni 2023, § 44b EnWG Rn. 6[]
  15. vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2020 – 11 A 6.18 -Rn. 37[]
  16. vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.09.2023 – 7 VR 6.23 -Rn. 15[]
  17. Lagebericht Gasversorgung der Bundesnetzagentur vom 17.08.2023 – vgl. im Einzelnen BVerwG, Beschluss vom 15.09.2023 – 7 VR 6.23 -Rn. 16 ff.[]
  18. vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.09.2021 – 4 MB 32/21 -Rn. 63[]
  19. BT-Drs.20/1742 S. 23[]
  20. Kment/Borchert, NVwZ 2023, 1529[]
  21. vgl. Hermes, in: Bourwieg/‌Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 4. Aufl.2023, § 44b Rn. 9[]
  22. vgl. Missling, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Juni 2023, § 44b EnWG Rn. 10a ff.; 23a f.[]
  23. a. A. Riege, in: Assmann/Peiffer, BeckOK EnWG, Stand September 2023, § 44b Rn. 24.1; Pielow, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl.2019, § 44b EnWG Rn. 14[]
  24. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2023 – 7 CN 1.22, NVwZ 2023, 1071 Rn. 22 f.; OVG NRW, Urteil vom 13.09.1995 – 13 A 3687/94, NVwZ-RR 1996, 185 <186>[]
  25. vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.2019 – 7 C 5.18, BVerwGE 166, 321 Rn. 43[]
  26. vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.06.2023 – 7 VR 3.23, NVwZ 2023, 1657[]