Windenergieanlagen – und die Erprobung von Antikollisionssystemen

Der Ausnahmetatbestand der Forschungszwecke i. S. d. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG beschränkt sich nicht auf Forschung an dem betroffenen Tier und/oder über das betroffene Tier.

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall begeht eine anerkannte Umweltvereinigung die Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für drei Windenergieanlagen. Die Genehmigung umfasst eine zeitlich befristete Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG für ein Forschungsvorhaben zur Erprobung eines kamerabasierten Erkennungs- und Vermeidungssystems (Antikollisionssystem „IdentiFlight“). Der Umweltverband hat unter anderem geltend gemacht, die Forschung im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG müsse sich auf das betroffene Tier beziehen, nicht – wie hier – auf das zur Genehmigung stehende Vorhaben.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen[1]. Die Revision gegen sein Urteil hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Umweltverbands hat das Bundesverwaltungsgericht nun zurückgewiesen:

Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr vom Umweltverband beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen[2]. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Frage, ob der Ausnahmetatbestand der Forschungszwecke im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG nur einschlägig sein kann, wenn es sich bei der gegen den Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 BNatSchG verstoßenden Maßnahme um Forschung an dem betroffenen Tier und/​oder über das betroffene Tier handelt, lasse sich, so das Bundesverwaltungsgericht, ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne der angefochtenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs klären.

Nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG kann von den Verboten des § 44 BNatSchG – hier des § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG wegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für den Rotmilan – im Einzelfall eine Ausnahme für Zwecke der Forschung zugelassen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass sich das Tatbestandsmerkmal der Forschung nicht auf das betroffene Tier beschränkt. Er ist damit der bisher vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung gefolgt[3]. Auch in der Literatur findet sich – soweit ersichtlich – kein Hinweis, dass der Forschungsbegriff in § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG eingeschränkt sein könnte. Unter dem Begriff der Forschung ist jede geistige Tätigkeit mit dem Ziel zu verstehen, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen, gleichgültig, ob diese Tätigkeit in einer entsprechenden wissenschaftlichen oder betrieblichen Institution oder aber nur privat vorgenommen wird[4]. Erfasst ist nicht nur die Forschung für Erkenntnisse betreffend die jeweilige Art, auch erfasst sind andere Forschungen, die z. B. die betroffene Art nur verwenden oder verbrauchen[5].

Dieses Verständnis des Forschungsbegriffs steht mit Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung in Einklang. Der Wortlaut des Ausnahmetatbestandes enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Forschung an dem betroffenen Tier und/​oder über das betroffene Tier handeln muss. Er enthält gerade keine Einschränkung auf das betroffene Tier. Die tatbestandlichen Einschränkungen ergeben sich nach der Gesetzessystematik vielmehr aus § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG, nämlich der Notwendigkeit einer Alternativenprüfung und dem Vorbehalt, dass sich der Erhaltungszustand der betroffenen Population nicht verschlechtern darf[6]. Die einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben sehen eine Ausnahmemöglichkeit unter denselben Voraussetzungen vor (Art. 16 Abs. 1 Buchst. d der FFH-Richtlinie und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Vogelschutz-Richtlinie) und verlangen demnach keine weitergehenden Einschränkungen. Das Erfordernis einer Einschränkung des Forschungsbegriffs im Sinne des Verständnisses des Umweltverbands ergibt sich auch nicht aus dem „Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG“. Unabhängig von der Frage, ob er im Rahmen der hier einschlägigen Vogelschutz-Richtlinie überhaupt Anwendung findet, lässt sich den im Leitfaden genannten Beispielen  nicht entnehmen, dass Forschungszweck allein die Forschung am Tier sein muss. Auch aus Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung ergibt sich nicht die Notwendigkeit einer Einschränkung des Forschungsbegriffs. Der Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns – hier: der Genehmigung von Windkraftanlagen – erweist[7]. Ebenso wenig wie der Verbotstatbestand setzt der damit korrespondierende Ausnahmetatbestand des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG ein unmittelbar zielgerichtetes bzw. absichtliches Einwirken auf ein betroffenes Exemplar der besonders geschützten Art voraus. Einem signifikant erhöhten Tötungs- und Verletzungsrisiko ist mit fachwissenschaftlich anerkannten Vermeidungsmaßnahmen zu begegnen[8]. Hierzu kann die Forschung mithilfe der betroffenen Art durch ein Vogelerkennungssystem beitragen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich schließlich kein anderes Auslegungsergebnis[9].

Weitere Rechtsfragen, denen der Umweltverband grundsätzliche Bedeutung beimisst, sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Maßgabe der Klagebegründung (vgl. § 6 Satz 1 UmwRG) die Prüfung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung als auf die nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BNatSchG erteilte Ausnahme beschränkt angesehen. Der Umweltverband hält zwar den nach Genehmigungserteilung in Kraft getretenen § 45b Abs. 8 Nr. 6 BNatSchG, wonach für den Betrieb von Windenergieanlagen eine Ausnahme von den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu erteilen ist, wenn die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 7 Satz 1 bis 3 BNatSchG vorliegen, für unionsrechtswidrig. Abgesehen davon, dass damit eine grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt ist, wäre diese Frage auch nicht entscheidungserheblich. Denn die Vorinstanz hat selbständig tragend darauf abgestellt, dass der Umweltverband zu Fehlern bei der Ausübung des nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG für die Erteilung einer Ausnahme bestehenden Ermessens keine Tatsachen und Beweismittel i. S. d. § 6 Satz 1 UmwRG vorgebracht hat. Die Ausnahmegründe nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 BNatSchG, auf die sich § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG bezieht, sind nicht Gegenstand des angegriffenen Urteils. Sie sind nach den Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Landkreis nicht herangezogen worden.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. Juli 2024 – 7 B 33.23

  1. BayVGH, Urteil vom 20.07.2023 – 22 A 22.40030[]
  2. stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 27.10.2023 – 7 B 10.23[]
  3. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2022 – 10 S 1485/21 79 f.[]
  4. vgl. etwa Lau, in: Frenz/​Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl., § 45 Rn. 10 und 20[]
  5. Müller-Walter, in: Lorz/​Konrad/​Mühlbauer/​ders./‌Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl.2013, § 45 BNatSchG Rn. 26[]
  6. vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2022 – 10 S 1485/21 79[]
  7. vgl. BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07, BVerwGE 131, 274 Rn. 91[]
  8. BVerwG, Beschluss vom 07.05.2024 – 7 B 22.23 9[]
  9. vgl. BT-Drs. 16/5100 S. 8, 13[]