
Ein Stromversorgungsunternehmen hat gegen einen Kunden keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 2 Abs. 1 HPflG, wenn aufgrund einer Fehlbedienung im Bereich der Schaltanlage des Kunden eine extrem hohe Strommenge aus dem Netz des Versorgers angefordert und deswegen eine in dessen Netz vorhandene Sicherungseinrichtung ausgelöst wird und wieder instand gesetzt werden muss.
Wirkungshaftung aus § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG
Ein Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG besteht nicht. Nach dieser Vorschrift ist, wenn durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Energien oder Stoffe ausgehen, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, der Inhaber der Anlage verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (sog. Wirkungshaftung). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG müssen die Schaden stiftenden Wirkungen von der Anlage ausgehen. Es muss ein Zusammenhang mit der Funktion der Anlage, nämlich dem Transport oder der Abgabe der Elektrizität, bestanden haben und dies muss die entscheidende Ursache für die Schadensentstehung gewesen sein.
Die Haftung für Stromleitungsanlagen und Anlagen zur Abgabe von Elektrizität wurde durch Gesetz vom 15. August 1943 in § 1a RHG geregelt. Der Grund für die Einführung insbesondere der Gefährdungshaftung wurde in der besonderen Gefährlichkeit dieser Anlagen für die Öffentlichkeit und darin gesehen, dass bei durch derartige Anlagen verursachten Schäden ein angemessener Schadensausgleich auf der Grundlage der Verschuldenshaftung schon wegen der schwierigen Beweislage oft nicht möglich ist; entsprechend diesem eingeschränkten Gesetzeszweck sollte durch die Formulierung der Haftungstatbestände und der (in § 2 Abs. 3 HPflG übernommenen) Ausnahmen erreicht werden, dass es im Verhältnis zwischen den Versorgern und den Abnehmern bei der vertraglichen oder deliktischen Haftung verbleibt. An diesem durch die Intention des Gesetzgebers bestimmten Schutzzweck der Haftungsvorschrift hat sich durch die Übernahme in § 2 HPflG nichts geändert.
Es besteht kein Anlass, das Gesetz abweichend vom Willen des Gesetzgebers auszulegen. Für eine Gefährdungshaftung besteht im Verhältnis zwischen den Versorgungsunternehmen und ihren Abnehmern kein Bedürfnis, weil die Haftung vertraglich geregelt werden kann und, soweit eine solche Regelung fehlt, die gesetzliche Vertrags- und Deliktshaftung eine ausreichende Grundlage für einen angemessenen Schadensausgleich darstellen.
Ursache für den Schaden war aber, so der Bundesgerichtshof, nicht die Abgabe von Elektrizität sondern die durch die Erdung der Schaltanlage der Beklagten verursachte extrem hohe Stromabnahme aus dem Netz der Klägerin. Ein solcher durch die Abnahme elektrischer Energie entstandener Schaden wird von § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG nach dem Wortlaut der Vorschrift und ihrem Schutzzweck sowie in Anbetracht der zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehungen nicht erfasst.
Zustandshaftung nach § 2 Abs. 1 Satz 2, 3 HPflG
Auch ein Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 2, 3 HPflG ist zu verneinen. Nach dieser Vorschrift ist der Inhaber einer der in Satz 1 bezeichneten Anlagen zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Schaden, ohne auf den Wirkungen der Elektrizität, der Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten zu beruhen, auf das Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen ist, es sei denn, dass sich diese zur Zeit der Schadensverursachung in ordnungsmäßigem Zustand befand (Satz 2), wobei ordnungsmäßig eine Anlage ist, solange sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist (Satz 3).
Hinsichtlich der Gesetzesgeschichte und der Intention des Gesetzgebers gilt für die Zustandshaftung das Gleiche wie für die Wirkungshaftung. Grund für die Haftung ist danach die Gefährdung, der die Öffentlichkeit durch die mechanischen Wirkungen der genannten Anlagen ausgesetzt ist. Dabei ist an das Umstürzen von Leitungsmasten und an das Herabfallen von Leitungsdrähten, die keinen elektrischen Strom führen, gedacht. Systematisch handelt es sich oft um Fallgestaltungen, die auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht haftungsrechtlich relevant sein können, wobei nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HPflG allerdings der Inhaber der Anlage beweispflichtig für deren ordnungsgemäßen Zustand ist.
Angesichts des klaren Wortlauts der Norm kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 2 HPflG nur der durch die bewegend wirkende Kraft der Anlage oder ihrer Teile hervorgerufene Schaden zu ersetzen ist. Eine Haftung kommt etwa auch dann in Betracht, wenn ein in Bewegung befindliches Gerät gegen den festen Teil einer Rohrleitungsanlage gestoßen und dadurch beschädigt wurde. Die Frage nach der Reichweite der Haftungsnorm lässt sich auch nicht allein durch eine isolierte Betrachtung der Beschaffenheit der Anlage als solcher bzw. ihrer Teile beantworten; vielmehr sind hierbei auch die jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, so dass die Haftung auch zu bejahen sein kann, wenn etwa ein Leitungsmast in unmittelbarer Nähe eines Baumes aufgestellt ist oder die Leitungsdrähte in unzureichendem Abstand an einem Baum vorbeiführen.
Es muss aber ein schutzzweckadäquater Zurechnungszusammenhang zwischen einem ordnungswidrigen Zustand der Anlage und der Rechtsgutver-letzung bestehen. Daran fehlt es etwa, wenn die Schädigung auf Arbeiten an der Anlage zurückzuführen ist und von der Anlage selbst als solcher keinerlei spezifische, nach außen tretende Störungszustände ausgehen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann von der mechanischen Wirkung einer Anlage, für die nach dem Gesetzeszweck gehaftet werden soll, auch dann keine Rede sein, wenn durch einen Kurzschluss im Bereich eines Abnehmers von Elektrizität und dadurch bedingte Unregelmäßigkeiten im Stromfluss ein Gerät im Bereich des Versorgungsunternehmens beschädigt wird.
Zwar mag zuzugeben sein, so der Bundesgerichtshof, dass ein Gerät, das durch fehlerhafte Erdung einen Kurzschluss verursacht, nicht in ordnungsgemäßem Zustand ist. Das reicht nach dem Gesetzeszweck indes für eine Haftung nicht aus. Hinzu kommt, dass auch die Zustandshaftung nur für Stromleitungen und Anlagen zur Abgabe der Elektrizität besteht. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall ist der Schaden aber deshalb eingetreten, weil die Anlage der Beklagten wegen des Kurzschlusses ihre Funktion bei der Annahme des von der Klägerin gelieferten Stroms nicht erfüllen konnte. Auch hier ist zudem zu beachten, dass mit der Anlagenhaftung des § 2 HPflG nicht die Haftungsbeziehungen zwischen den Energielieferanten und ihren Kunden geregelt werden sollen.
Haftungsausschluss nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 HPflG
Im Übrigen wäre sowohl die Wirkungshaftung als auch die Zustandshaftung jedenfalls nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 HPflG ausgeschlossen. Wie oben ausgeführt, ist der Schaden aufgrund einer Störung bei der Abnahme des von der Klägerin gelieferten Stroms aufgetreten. Der Schaden ist mithin durch eine Einrichtung zum Verbrauch oder zur Abnahme von Elektrizität verursacht worden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Juni 2010 – VI ZR 226/09