Stromnetzqualität – und die Anreizregulierung

Der mit der Bestimmung von Qualitätselementen nach §§ 19, 20 ARegV betrauten Regulierungsbehörde steht bei der Auswahl der einzelnen Parameter und Methoden ein Spielraum zu, der in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum, in ande-ren Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt.

Stromnetzqualität – und die Anreizregulierung

Nach § 21a Abs. 2 Satz 1 EnWG erfolgt die Anreizregulierung durch Vorgabe von Obergrenzen für die Höhe der Netzzugangsentgelte oder für die Gesamterlöse aus Netzzugangsentgelten, die innerhalb einer Regulierungsperiode erzielt werden dürfen. Hierbei sind Effizienzvorgaben zu berücksichtigen.

Gemäß § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG werden die Effizienzvorgaben unter anderem unter Berücksichtigung der Versorgungsqualität und auf diese bezogener Qualitätsvorgaben bestimmt. Die Qualitätsvorgaben werden gemäß § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG auf der Grundlage einer Bewertung von Zuverlässigkeitskenngrößen oder Netzleistungsfähigkeitskenngrößen ermittelt, bei der auch Strukturunterschiede zu berücksichtigen sind. Bei einem Verstoß gegen Qualitätsvorgaben können nach § 21a Abs. 5 Satz 3 EnWG auch die Obergrenzen zur Bestimmung der Netzzugangsentgelte für ein Energieversorgungsunternehmen gesenkt werden. Weitere materiellrechtliche Vorgaben überlässt § 21a Abs. 6 EnWG einer Rechtsverordnung, die die nähere Ausgestaltung der Methode einer Anreizregulierung und ihre Durchführung regeln (§ 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG) und insbesondere Regelungen für die Ausgestaltung der Qualitätsvorgaben treffen kann (§ 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 EnWG).

Diese Verordnungsermächtigung wird durch die Anreizregulierungsverordnung ausgefüllt.

Gemäß § 18 ARegV dienen Qualitätsvorgaben der Sicherung eines langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen. Als Instrumente zur Gewährleistung der Qualitätsvorgabe werden in der Vorschrift Qualitätselemente nach den §§ 19 und 20 ARegV und die Berichtspflichten nach § 21 ARegV genannt. Das Qualitätselement ist Bestandteil der Regulierungsformel in Anlage 1 zu § 7 ARegV. Hierfür sieht § 19 Abs. 1 Satz 1 ARegV vor, dass auf die Erlösobergrenzen Zu- oder Abschläge vorgenommen werden können, wenn Netzbetreiber hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit oder der Netzleistungsfähigkeit von Kennzahlenvorgaben abweichen. Die Kennzahlenvorgaben sind nach Maßgabe des § 20 ARegV unter Heranziehung der Daten von Netzbetreibern aus dem gesamten Bundesgebiet zu ermitteln und in Zu- und Abschläge umzusetzen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 ARegV). Zulässige Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuverlässigkeit, die in § 19 Abs. 3 ARegV definiert ist, sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ARegV insbesondere die Dauer der Unterbrechung der Energieversorgung, die Häufigkeit der Unterbrechung der Energieversorgung, die Menge der nicht gelieferten Energie und die Höhe der nicht gedeckten Last. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 ARegV ist eine Kombination und Gewichtung dieser Kennzahlen möglich. Für die ausgewählten Kennzahlen sind Kennzahlenwerte der einzelnen Netzbetreiber zu ermitteln (§ 20 Abs. 1 Satz 3 ARegV). Aus diesen Kennzahlenwerten sind nach § 20 Abs. 2 ARegV Kennzahlenvorgaben als gewichtete Durchschnittswerte zu ermitteln, wobei bei der Ermittlung der Kennzahlenvorgaben gebietsstrukturelle Unterschiede zu berücksichtigen sind, was durch Gruppenbildung erfolgen kann. Damit ist zugleich klargestellt, dass die Referenzwerte nicht von der individuellen Qualität des jeweiligen Netzbetreibers abhängen sollen. Schließlich bestimmt § 20 Abs. 3 ARegV, dass für die Gewichtung der Kennzahlen oder der Kennzahlenwerte sowie die Bewertung der Abweichungen in Geld zur Ermittlung der Zu- und Abschläge auf die Erlöse nach § 19 Abs. 1 ARegV (monetäre Bewertung) insbesondere die Bereitschaft der Kunden, für eine Änderung der Netzzuverlässigkeit niedrigere oder höhere Entgelte zu zahlen, als Maßstab herangezogen werden, analytische Methoden, insbesondere analytische Kostenmodelle, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen müssen, oder eine Kombination von beiden Methoden verwendet werden können.

Erfolgt nach diesen Maßgaben eine Bestimmung des Qualitätselements, so hat die Regulierungsbehörde nach § 4 Abs. 5 ARegV von Amts wegen die Erlösobergrenze entsprechend anzupassen, wobei die Anpassung höchstens einmal jährlich zum 1.01.des folgenden Kalenderjahres zulässig ist. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 ARegV hat die Regulierungsbehörde über den Beginn der Anwendung des Qualitätselements, der bei Stromversorgungsnetzen zur zweiten Regulierungsperiode zu erfolgen hat, zu entscheiden. Er soll nach § 19 Abs. 2 Satz 2 ARegV bereits zur oder im Laufe der ersten Regulierungsperiode erfolgen, soweit der Regulierungsbehörde hinreichend belastbare Datenreihen vorliegen.

Die Zielrichtung der Qualitätsvorgaben entspricht damit dem in § 1 Abs. 2 EnWG festgelegten speziellen Ziel der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen. Die Regelungen zur Versorgungsqualität bilden einen wichtigen, notwendigen Bestandteil in einer auf Kosteneffizienz ausgerichteten Regulierung der Netze, damit Kosteneffizienzsteigerungen nicht zu Lasten der Versorgungsqualität gehen. Der Verordnungsgeber hat sich mit den Regelungen der §§ 18 ff. ARegV gegen eine – alternativ denkbare – integrative Qualitätsregelung entschieden, indem die Versorgungsqualität nicht Bestandteil des Effizienzvergleichs nach §§ 12 ff. ARegV ist.

Obwohl das Energiewirtschaftsgesetz und die Anreizregulierungsverordnung hiernach sowohl hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kennzahlen als auch hinsichtlich der Ermittlung der Kennzahlenwerte und der Kennzahlenvorgaben wie auch hinsichtlich der anzuwendenden Methoden maßgebliche Weichenstellungen vorgeben, verbleiben bei der näheren Ausgestaltung und dem Verfahren der Bestimmung des Qualitätselements sowie dem Beginn seiner Anwendung im Einzelnen notwendigerweise erhebliche Spielräume.

Die in §§ 19 und 20 ARegV enthaltenen Vorgaben sind trotz ihrer zum Teil hohen Regelungsdichte ausfüllungsbedürftig. Soweit der Verordnungsgeber in § 20 Abs. 1 Satz 1 ARegV bestimmte Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuverlässigkeit vorgegeben hat, ist diese Aufzählung nicht abschließend, sondern beinhaltet lediglich Regelbeispiele, die von der Regulierungsbehörde verwendet und um weitere Parameter ergänzt werden können. Aus der in § 20 Abs. 1 Satz 2 ARegV eröffneten Möglichkeit einer Kombination der Kennzahlen geht zugleich hervor, dass der Verordnungsgeber nicht eine kumulative Anwendung sämtlicher genannter Regelbeispiele vorschreibt, sondern der Regulierungsbehörde – was auch aus § 20 Abs. 1 Satz 3 ARegV, der die „ausgewählten“ Kennzahlen in den Blick nimmt, hervorgeht – insoweit ein Auswahlermessen einräumt. Entsprechendes gilt nach § 20 Abs. 3 ARegV im Hinblick auf die Gewichtung der Kennzahlen und Kennzahlenwerte sowie die monetäre Bewertung. Zur Ausfüllung dieser Vorgaben kommen – was dem Verordnungsgeber bewusst war[1] – verschiedene international verwendete Kennzahlen und unterschiedliche wissenschaftliche Methoden in Betracht. Die Auswahl einer konkreten Kennzahl oder Methode, die den abstrakten Vorgaben der Verordnung entspricht, hat der Verordnungsgeber nach § 32 Abs. 1 Nr. 6 ARegV der Regulierungsbehörde überlassen. Da die Auswahl der konkreten Kennzahlen und Methoden einen untrennbaren Zusammenhang mit der hinreichenden Belastbarkeit der dabei heranzuziehenden Datenreihen aufweist, berührt der der Regulierungsbehörde eingeräumte Entscheidungsspielraum auch den Beginn der Anwendung des Qualitätselements.

Dass solche Spielräume bestehen, deckt sich mit den Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser hat die gesetzlichen Vorgaben methodenoffen gestaltet, weil die Regulierungsbehörde das Anreizregulierungsmodell entwickeln soll[2].

Die der Regulierungsbehörde eröffneten Spielräume kommen hinsichtlich einiger Aspekte einem Beurteilungsspielraum, hinsichtlich anderer Aspekte einem Regulierungsermessen gleich.

Die Bestimmung des Qualitätselements erfordert, wenn es die gesetzlich vorgegebene Zuverlässigkeit aufweisen soll, eine komplexe Modellierung der maßgeblichen Verhältnisse bei den einzelnen Netzen und Netzbetreibern, die nicht bis in alle Einzelheiten rechtlich vorgegeben werden kann; und vom Gesetzgeber bewusst nicht vorgegeben worden ist. Dies hat Auswirkungen auf die gerichtliche Kontrolldichte. Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert[3].

Ob und inwieweit es sich bei den der Regulierungsbehörde eröffneten Spielräumen um einen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Norm oder um ein Regulierungsermessen auf der Rechtsfolgenseite handelt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Die für diese beiden Kategorien geltenden Kontrollmaßstäbe unterscheiden sich, wie auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat[4], eher verbal und weniger in der Sache[5]. Ähnlich wie es der Bundesgerichtshof für die Beurteilung der Effizienzwerte angenommen hat[6], weist auch die Bestimmung des Qualitätselements eine besondere Nähe zum Regulierungsermessen auf. Dessen Ermittlung ist das Ergebnis einer komplexen Bewertung, die sowohl die Erfassung und Beurteilung der maßgeblichen Elemente des Sachverhalts als auch die Auswahl zwischen mehreren in Frage kommenden Kennzahlen (einschließlich ihrer möglichen Kombination und Gewichtung) und Bewertungsmethoden erfordert, und findet unmittelbar Eingang in die Regulierungsformel nach Anlage 1 zu § 7 ARegV zur Bestimmung der Erlösobergrenzen.

Die Ausübung eines Beurteilungsspielraums ist darauf zu überprüfen, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat[7]. Die eine Abwägung zwischen unterschiedlichen gesetzlichen Zielvorgaben erfordernde Ausübung des Regulierungsermessens ist vom Gericht zu beanstanden, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden ist (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen ihnen zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität)[8]. Nach diesen Maßgaben ist im Streitfall insbesondere zu überprüfen, ob die Bundesnetzagentur bei Erlass der angefochtenen Festlegung die gesetzlichen Vorgaben in § 21a Abs. 5 EnWG und die Anforderungen des Verordnungsgebers an Kennzahlen und Kennzahlenwerte in §§ 19, 20 ARegV beachtet hat.

Dabei erstreckt sich der Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur bei der Bestimmung des Qualitätselements im Ausgangspunkt auch auf die Festlegung über den Beginn seiner Anwendung. Denn die hierfür entscheidende Frage, ob hinreichend belastbare Datenreihen im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 2 ARegV vorliegen, lässt sich nur beantworten, wenn klar ist, welche Daten für die Bestimmung des Qualitätselements im Einzelnen herangezogen werden. Insoweit besteht aber – wie aufgezeigt – ein Entscheidungsspielraum der Regulierungsbehörde. Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob – nach der abstrakten Auswahl der maßgeblichen Datenreihen – die konkret erhobenen Daten hinreichend belastbar sind. Die Klärung dieser Frage ist gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe möglich.

Allerdings unterliegt die Regulierungsbehörde bei der Ausfüllung eines Entscheidungsspielraums der vorliegenden Art besonderen Begründungsanforderungen. Ähnlich wie es das Bundesverwaltungsgericht bei telekommunikationsrechtlichen Entscheidungen angenommen hat[9], ist bei einem derartigen Entscheidungsspielraum die eigentliche Bewertung der Behörde auch darauf nachzuprüfen, ob sie im Hinblick auf die Kriterien, die in der Rechtsnorm ausdrücklich hervorgehoben oder in ihr angelegt sind, ihre Festlegung plausibel und erschöpfend begründet hat. Dies folgt aus der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art.19 Abs. 4 GG. Die gerichtliche Kontrolle eines der Behörde eingeräumten Gestaltungsspielraums ist grundsätzlich auf diejenigen Erwägungen zu erstrecken und zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung dargelegt hat; denn die notwendige Abwägung und ihre Darstellung im Bescheid sollen zumindest auch die nachgehende gerichtliche Kontrolle ermöglichen, die angesichts des ohnehin eingeräumten Beurteilungsspielraums sonst nicht hinreichend wirksam wäre.

Aufgrund dessen muss der Begründung der Entscheidung zu entnehmen sein, dass die Regulierungsbehörde die in Betracht kommenden Kennzahlen und die Methoden zur Ermittlung der Kennzahlenwerte und ihrer Gewichtung sowie der monetären Bewertung abgewogen und geprüft hat, welche dem Ziel der Sicherung eines langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen am ehesten gerecht werden. Sodann muss die Behörde unter Bewertung der unterschiedlichen Belange im Einzelnen darlegen, dass und warum ihrer Ansicht nach im Ergebnis Überwiegendes für die gewählte Methode spricht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Juli 2014 – EnVR 59/12

  1. vgl. BR-Drs. 417/07, S. 63[]
  2. BT-Drs. 15/5268, S. 120[]
  3. BVerfGE 88, 40, 56, 61; 103, 142, 156 f.; BVerwGE 131, 41 Rn.20[]
  4. BVerwG, NVwZ 2014, 589 Rn. 33 f. mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 21.01.2014 – EnVR 12/12, Rn. 26 – Stadtwerke Konstanz GmbH[]
  6. BGH, Beschluss vom 21.01.2014 – EnVR 12/12, Rn. 28 – Stadtwerke Konstanz GmbH[]
  7. BVerwGE 131, 41 Rn. 21[]
  8. vgl. BVerwGE 131, 41 Rn. 47[]
  9. BVerwG, NVwZ 2014, 589 Rn. 34 ff.[]