Lieferstörungen in Sonderkundenverträgen zur Stromversorgung

Die von einem Stromversorgungsunternehmen in Sonderkundenverträgen gegenüber Verbrauchern verwendete Klausel

Lieferstörungen in Sonderkundenverträgen zur Stromversorgung

„10. Wann ist Y. nicht zur Lieferung verpflichtet?
Y. trifft die ihr möglichen Maßnahmen, um Sie am Ende des Netzanschlusses mit Strom zu beliefern. Bei Störungen des Netzbetriebs ein-schließlich des Netzanschlusses ist Y. jedoch von der Leistungspflicht befreit. Dies gilt auch, wenn Y. an der Stromlieferung aufgrund höherer Gewalt oder sonstiger Umstände, deren Beseitigung Y. nicht möglich ist oder wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann, gehindert ist.“

schließt weder die sich für den Kunden aus § 326 Abs. 1 BGB ergebenden Rechtsfolgen noch dessen Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 314 BGB aus. Sie enthält daher keine unangemessene Benachteiligung des Kunden (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) und ist auch nicht intransparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Die Klausel Nr. 10 unterliegt einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB selbst insoweit, als sie mit den Regelungen der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (im Folgenden: Stromgrundversorgungsverordnung) übereinstimmt. § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB stellt zwar Sonderkundenverträge über die Elektrizitätsversorgung von den Verboten der §§ 308, 309 BGB frei, sofern diese nicht zum Nachteil der Abnehmer von der Stromgrundversorgungsverordnung abweichen. Die Vorschrift verhindert eine Überprüfung der in derartigen Sonderkundenverträgen enthaltenen Klauseln anhand der Generalklausel des § 307 BGB indes nicht[1].

Allerdings, so der Bundesgerichtshof, kann die Klausel Nr. 10 nicht dahingehend verstanden werden, dass sie über das von ihrem Wortlaut erfasste Entfallen der Leistungspflicht der Beklagten hinaus auch die sich für den Kunden ergebenden Rechtsfolgen einer Lieferungsunterbrechung abschließend regelt und insbesondere die sich für den Kunden aus § 326 Abs. 1 BGB ergebenden Rechtsfolgen oder das Recht der Kunden zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 314 BGB ausschließt. Es kommt daher nicht darauf an, ob ein Ausschluss dieser Rechtsfolgen eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen würde.

Die Klausel Nr. 10 ist nicht isoliert zu prüfen, sondern im Zusammenhang mit dem Gesamtklauselwerk und hier insbesondere mit der Klausel Nr. 11. Auch in dem Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz ist eine Klausel vor dem Hintergrund des gesamten Formularvertrags zu interpretieren; sie darf nicht aus einem ihre Beurteilung mit beeinflussenden Zusammenhang gerissen werden[2].

Diese Prüfung ergibt jedoch, dass die Klausel Nr. 10 nur eine Begrenzung der Lieferungspflicht des Stromversorgers enthält, nicht jedoch zugleich eine Regelung der sich hieraus für den Kunden ergebenden rechtlichen Konsequenzen.

Schon die Überschrift der Klausel Nr. 10 „Wann ist Y. nicht zur Lieferung verpflichtet?“ zeigt eindeutig, dass die sich für den Kunden aus der Lieferungsunterbrechung ergebenden Rechtsfolgen von ihr nicht erfasst werden. Auch der Inhalt der Klausel Nr. 10 beschäftigt sich ausschließlich mit der Leistungspflicht der Beklagten. Hieran ändert sich durch eine Gesamtbetrachtung im Zusammenhang mit der Klausel Nr. 11 nichts. Diese informiert den Kunden lediglich über die ihm zustehenden Ansprüche im Fall einer Lieferungsunterbrechung. Sie lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass die Klausel Nr. 10 im Übrigen sämtliche gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien in einem solchen Fall abschließend regelt.

An diesem Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass im Verbandsprozess von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen ist[3]. Auch nach der kundenfeindlichsten Auslegung scheiden solche Auslegungsmöglichkeiten aus, die von den an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht in Betracht gezogen werden[4]. Ein rechtlich nicht vorgebildeter Durchschnittskunde eines Stromsonderkundenvertrags erwartet in einer Klausel mit der Überschrift „Wann ist Y. nicht zur Lieferung verpflichtet?“ keine Regelung auch der sich für ihn aus einer Lieferungsunterbrechung ergebenden Rechtsfolgen. Dies gilt insbesondere, wenn danach eine Klausel mit der Überschrift „An wen kann ich mich bei einer Unterbrechung der Stromlieferung wenden?“ folgt.

Die Klausel Nr. 10 ist auch nicht intransparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Das Transparenzgebot verpflichtet die Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner eindeutig und verständlich darzustellen, damit diese sich bei Vertragsschluss hinreichend über die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen klar werden können[5]. Maßstab der Beurteilung sind die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders[6].

Die Klausel Nr. 10 wird diesen Anforderungen gerecht. Sie zählt klar und verständlich die Tatbestände auf, bei denen die Beklagte nicht zur Stromlieferung verpflichtet ist. Eine darüber hinausgehende Aussage zu den sich aus einer Unterbrechung der Stromlieferung ergebenen Auswirkungen auf die Pflichten des Kunden sowie dessen Recht zur außerordentlichen Kündigung enthält die Klausel Nr. 10 – wie oben unter 2 b dargestellt – nicht. Das Transparenzgebot ist daher auch nicht deswegen verletzt, weil die Klausel hinsichtlich der Frage unklar wäre, ob sie die gegenseitigen Rechte und Pflichten im Falle einer Unterbrechung der Stromlieferung abschließend und umfassend regelt. Die Klausel Nr. 10 schafft weder ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume für den Verwender noch hält sie die Kunden von einer Durchsetzung der ihnen zustehenden Rechte ab[7].

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. März 2012 – VIII ZR 202/11

  1. vgl. BGH, Urteile vom 25.02.1998 – VIII ZR 276/96, BGHZ 138, 118, 123; vom 14.07.2010 – VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 29 mwN[]
  2. BGH, Urteile vom 17.01.1989 – XI ZR 54/88, BGHZ 106, 259, 263; vom 05.11.1991 – XI ZR 246/90, NJW 1992, 180 unter 3 b; vom 10.02.1993 – XII ZR 74/91, NJW 1993, 1133 unter II 2 c; Erman/Roloff, BGB, 13. Aufl., § 5 UKlaG Rn. 2[]
  3. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 27.09.2000 – VIII ZR 155/99; BGHZ 145, 203, 223; BGH, Urteil vom 21.04.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 31[]
  4. BGH, Urteile vom 05.04.1984 – III ZR 2/83, BGHZ 91, 55, 61; vom 21.04.2009 – XI ZR 78/08, aaO Rn. 11[]
  5. BGH, Urteile vom 17.01.1989 – XI ZR 54/88, aaO S. 264 mwN; vom 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, BGHZ 165, 12, 21 f.; vom 23.02.2011 – XII ZR 101/09, WM 2011, 1190 Rn. 10[]
  6. BGH, Urteile vom 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, aaO S. 22; vom 15.04.2010 – Xa ZR 89/09, WM 2010, 1237 Rn. 25; vom 23.02.2011 – XII ZR 101/09, aaO[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, aaO S. 21 f.[]