Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen. Das gilt nach zwei aktuellen Urteilen des Bundesgerichtshofs auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb.

In den jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Kartellverfahren streiten die Parteien über Ansprüche auf Übereignung der Stromversorgungsnetze in schleswig-holsteinischen Gemeinden. Aufgrund Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzessionsverträge war die Beklagte in diesen Gemeinden Netzbetreiber. Ihre Bewerbung um Abschluss neuer Konzessionsverträge hatte jeweils keinen Erfolg.
Die Klägerin des ersten Verfahrens[1], die Stadt Heiligenhafen, entschied sich dafür, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. Sie verlangt, gestützt auf § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF sowie eine Regelung des abgelaufenen Konzessionsvertrags (Endschaftsbestimmung), von der Beklagten die Übereignung des örtlichen Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung.
Im zweiten Verfahren[2] haben die 36 Gemeinden der Ämter Sandesneben-Nusse und Berkenthin einen neuen Konzessionsvertrag mit der Klägerin abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden handelt. Die Klägerin verlangt aus § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG aF sowie aus abgetretenem Recht der Gemeinden die Übereignung des Netzes.
Sowohl das erstinstanzlich mit beiden Verfahren befasste Landgericht Kiel[3] wie auch in der Berufungsinstanz das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in Schleswig[4] haben die Klagen der Gemeinden abgewiesen. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat Ansprüche der Gemeinden auf Übertragung des Netzes verneint, weil die Neuvergaben der Konzessionen jeweils gegen § 46 EnWG aF und § 20 Abs. 1 GWB aF verstießen. Die Gemeinden hätten in einer diskriminierungsfreien Vergabeentscheidung vorrangig die Ziele des § 1 EnWG aF und somit in erster Linie das Niveau der erreichbaren Netzentgelte sowie die Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen. Erst in zweiter Linie könnten die fiskalischen Interessen der Kommune eine Rolle spielen. Die Entscheidungen der Gemeinden für eine Rekommunalisierung genügten diesen Anforderungen nicht. Dies könne die Beklagte den Übertragungsansprüchen entgegenhalten.
Der Bundesgerichtshof hat nun diese Urteile bestätigt und die dagegen gerichteten Revisionen zurückgewiesen:
Im ersten Verfahren[1] kann die Beklagte den Überlassungsansprüchen entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB aF unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG folgt. Das Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf ein „Konzernprivileg“ noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten „In-house-Geschäfts“ berufen. Das verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht wird dadurch nicht verletzt.
Im zweiten Verfahren[2] stehen der Klägerin keine Ansprüche auf Überlassung der Netze zu, weil sie nicht „neues Energieversorgungsunternehmen“ im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG aF geworden ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzessionsvertrag mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134 BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswahlentscheidung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall das Transparenzgebot beachtet. Die bei der Auswahlentscheidung angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich mit dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen. Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung, Umweltverträglichkeit) auszurichten. Im Übrigen bleibt der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrags aufweisen, was eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst.
Diesem Maßstab genügen die Auswahlentscheidungen zugunsten der Gemeinde nicht. Zwar hat das Oberlandesgericht Schleswig einige Auswahlkriterien wie etwa den Gemeinderabatt oder eine Folgekostenübernahme zu Unrecht für unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170 bei der Angebotsbewertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft. Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB aF hat die Nichtigkeit der Konzessionsverträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte.
Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen Rechte aus den vertraglichen Endschaftsbestimmungen scheitern daran, dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB entgegenhalten kann, von den Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20 Abs. 1 GWB aF) worden zu sein.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 17. Dezember 2013 – KZR 65/12 und KZR 66/12