Die Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, gegenüber Betreibern bestandskräftig genehmigter Windenergieanlagen nachträgliche Anordnungen zur Verhinderung von Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes zu treffen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Genehmigungserteilung wesentlich geändert hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Betreiberin wendet sich gegen nachträgliche zeitliche Beschränkungen des Betriebs ihrer bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen, die die zuständige Behörde gestützt auf die Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG aus Gründen des Fledermausschutzes angeordnet hat. Die im Jahr 2006 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält keine Betriebsbeschränkungen zum Schutz von Fledermäusen. Nachdem später Totfunde verschiedener Fledermausarten im Bereich der Anlagen gemeldet und Bestandserfassungen zu Fledermäusen angestellt worden waren, verfügte die Behörde unter näheren Maßgaben zu meteorologischen Rahmenbedingungen eine nächtliche Abschaltung der Anlagen vom 15. April bis zum 31. August eines Jahres. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen[1]. Das Bundesverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Revision der Betreiberin zurückgewiesen:
Eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung steht nachträglichen artenschutzrechtlichen Anordnungen auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BNatSchG nicht generell entgegen. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG begründet eine unmittelbare und dauerhafte Verhaltenspflicht, die auch bei Errichtung und Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Windenergieanlagen zu beachten ist.
Zwar ist aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Anlagenbetrieb auch im Hinblick auf § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG als rechtmäßig anzusehen. Das gilt aber nur in den Grenzen der auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung bezogenen Feststellungswirkung der Genehmigung, wonach die genehmigte Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Aufgrund der Anknüpfung an den Genehmigungszeitpunkt erstreckt sich diese Feststellungswirkung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage wie im vorliegenden Fall.
Die streitige Anordnung bewirkt auch keine – der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vorbehaltene – (Teil-)Aufhebung der Genehmigung.
Für das Bundesverwaltungsgericht revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es ferner, dass das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bejaht hat, weil durch den Betrieb der Windenergieanlagen das Tötungs- und Verletzungsrisiko von Exemplaren der besonders geschützten Fledermausarten signifikant erhöht sei.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2023 – 7 C 4.22
- Nds. OVG, Urteil vom 05.07.2022 – 12 KS 121/21[↩]