Der Stromnetzausbau und die technischen Optimierungsmöglichkeiten

Al­lein die tech­ni­sche Mög­lich­keit, die Über­tra­gungs­ka­pa­zi­tä­ten be­ste­hen­der Strom­lei­tun­gen durch ein Frei­lei­tungs­mo­ni­to­ring oder durch den Ein­satz von Hoch­tem­pe­ra­tur­lei­ter­sei­len zu er­hö­hen, ist nicht ge­eig­net, die Be­darfs­fest­stel­lung im En­er­gie­lei­tungs­aus­bau­ge­setz in Frage zu stel­len.

Der Stromnetzausbau und die technischen Optimierungsmöglichkeiten

Das fachplanungsrechtliche Erfordernis der Planrechtfertigung kann jeder von der Planfeststellung Betroffene rügen. Er muss eine Inanspruchnahme von in seinem Eigentum stehenden Grundstücken nicht hinnehmen, wenn dem Vorhaben die Planrechtfertigung im Sinne fachplanerischer Zielkonformität fehlt[1]. Ein Bedürfnis liegt nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens vor, sondern bereits dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist[2].

Das Freileitungsmonitoring und der Einsatz von Hochtemperaturleiterseilen entsprechen in Deutschland auf Höchstspannungsebene noch nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik; nahezu sämtliche im Gutachten Jarass/Obermair vom 21.10.2007 angesprochenen europäischen Installationsbeispiele für Freileitungsmonitoring befinden sich noch im „R&D“-Stadium, d.h. im Bereich der Forschung und Entwicklung. Aus dem Hinweis der Kläger auf die dena-Netzstudie II ergibt sich nichts anderes. Sie übergehen, dass sich an die von ihnen wiedergegebene Passage der Netzstudie ein ausdrücklicher Hinweis darauf anschließt, dass die Zuerkennung des Status „allgemeinen Regeln der Technik“ weiterhin erfordert, dass die entsprechende Technik in der Praxis erprobt und bewährt sein muss. Für die temporäre Anpassung und Dynamisierung der Übertragungskapazität mit Hilfe des Freileitungsmonitorings liegen zum Teil nur Erfahrungen auf der 110-kV-Ebene aus Feldversuchen vor, die nicht uneingeschränkt auf die 380-kV-Spannungsebene übertragbar sind[3]. Bestimmten Leiterseiltypen von Hochtemperaturleiterseilen wird attestiert, dass sie im Betriebsbereich bis 150 °C dem Stand der Technik entsprechend betrieben werden können, was Kapazitätserhöhungen bis zu 50 % ermöglicht[4]. Andere Übertragungsverfahren – insbesondere auch mit Betriebstemperaturen bis über 200 °C – befinden sich mit neuartigen ACSS- und ACCC-Seilen im Übergang vom Feldversuch zum Stand der Technik. Dies erklärt auch die Bestimmung des § 12b Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Buchst. b EnWG, wonach der Netzentwicklungsplan Angaben zum „Einsatz von Hochtemperaturleiterseilen als Pilotprojekt mit einer Bewertung ihrer technischen Durchführbarkeit und Wirtschaftlichkeit“ enthalten muss, was wiederum darauf schließen lässt, dass derartige Techniken in der Praxis noch nicht ausreichend erprobt und bewährt sind. Der Planfeststellungsbeschluss weist darauf hin, dass langjährige Erfahrungen in Europa und speziell in Deutschland für sämtliche Hochtemperaturseile fehlen und diese nirgendwo als Standardlösung realisiert sind.

Die Kläger können dem nicht mit dem Hinweis auf eine Studie der RWTH Aachen vom November 2011 zur wirtschaftlichen Bewertung des Einsatzes von Hochtemperaturleitern mit geringem Durchhang sowie auf ein Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zu den Aspekten des sich verändernden Energieversorgungssystems vom Dezember 2011 entgegentreten. Die RWTH-Studie befasst sich mit der Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Hochtemperaturleiterseilen und verweist darauf, dass es für ACCR-Hochtemperaturleiterseile in Deutschland bereits erfolgreiche Pilotprojekte gebe. In dem Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur wird betont, dass mit Blick auf die erforderlichen Kapazitäten allgemein unbestritten sei, dass der Ausbaubedarf auf einigen Strecken so groß sei, dass Maßnahmen zur Kapazitätssteigerung bestehender Leitungen (z.B. Leiterseilmonitoring) bei weitem nicht ausreichten. Der zusätzlich benötigte Bedarf an Übertragungskapazität sei sehr groß, so dass Maßnahmen zur technischen Aufrüstung bestehender Leitungsabschnitte nicht genügten, um konventionellen Ausbau in größerem Umfang zu vermeiden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Juli 2013 – 7 A 4.12

  1. vgl. BVerwG, Urteil vom 16.03.2006 – 4 A 1001.04, NVwZ 2006, 1055, 1057, insoweit in Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 145 nicht abgedruckt[]
  2. stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 08.07.1998 – 11 A 53.97, BVerwGE 107, 142, 145 m.w.N. = Buchholz 442.40 § 10 LuftVG Nr. 8 S. 5[]
  3. Schnettler u.a., FGH Mannheim e.V./RWTH Aachen, Übersicht zu den Potenzialen verschiedener technischer Maßnahmen zur Steigerung der Transportkapazität einer 380-kV-Freileitung, S. 70 f.[]
  4. vgl. dena-Netzstudie II S. 127 ff.[]