Die deutschen CERN-Delegierten und der Protonenbeschleuniger

Die deutschen CERN-Delegierten und der Protonenbeschleuniger

Die Europäische Kernforschungsorganisation CERN (Conseil Europeen pour la Recherche Nucleaire) betreibt im schweizerischen Genf einen Protonenbeschleunigers mit einer Energie von mehr als 2 bis 3,5 Tera-Elektronenvolt (“LHC” – Large Hadron Collider), gegen den Umweltaktivisten vor deutschen Gerichten mobil machten. Nach dem Scheitern im einstweiligen Rechtsschutz blieb nun auch das Klageverfahren zumindest in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgerichts Köln ohne Erfolg: Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, ihre Delegierten im Rat der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN zu einer Initiative gegen die weitere Inbetriebnahme des Protonenbeschleunigers in Genf anzuweisen.

Eine in Zürich lebende deutsche Staatsangehörige hatte beim Verwaltungsgericht Köln mit einem Eilantrag und einer Klage gegen das Bundesministerium für Bildung und Forschung versucht, die Inbetriebnahme des Protonenbeschleunigers zu verhindern. In dem Protonenbeschleuniger sollen Teilchen mit hoher Energie aufeinander geschossen werden, um so den “Urknall” zu simulieren, aus dem die Erde entstanden ist. Die Klägerin befürchtet unter Berufung auf in der Wissenschaft vertretene Meinungen, dass bei dem Experiment so genannte “Schwarze Löcher” und andere Gefahren entstehen können, die im weiteren Verlauf zur Zerstörung allen irdischen Lebens führen. Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt dieser Versuchsaufbau am CERN dagegen kein Gefahrenpotential.

Das CERN

Die durch Abkommen vom 1. Juli 1953 errichtete internationale Forschungseinrichtung wird von der Bundesrepublik Deutschland und 19 weiteren Mitgliedstaaten getragen. Ziel der Organisation ist die Zusammenarbeit europäischer Staaten bei der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik. Die Organisation besitzt Völkerrechtspersönlichkeit sowie Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats. In Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit genießt die Organisation Immunität von der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten. Ihre Organe sind ein Rat und ein Direktor. Die Grundzüge der Tätigkeit der Organisation werden vom Rat festgelegt, der sich aus Delegierten der Mitgliedstaaten zusammensetzt und grundsätzlich mit einfacher Mehrheit entscheidet. Zu der von der Organisation betriebenen Anlage gehört ein neu errichtetes Synchrotron (Large Hadron Collider – LHC). Dieser etwa 100 Meter unterhalb der Erdoberfläche errichtete Teilchenbeschleuniger erstreckt sich in einem ringförmigen Tunnel mit einem Umfang von ungefähr 27 km über das Gebiet der Organisation hinaus bis auf französisches Staatsgebiet. Während der für die nachfolgenden Monate geplanten Versuchsreihen sollen im Inneren des LHC-Röhrensystems zwei gegenläufige Protonenstrahlen durch Einsatz von Magneten annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die beschleunigten Teilchen werden dazu verwendet, Kollisionsexperimente durchzuführen. Der neue Beschleuniger wurde zunächst probeweise mit einer Energie von rund 2 Billionen Elektronenvolt (Tera-Elektronenvolt – TeV) in Betrieb genommen, die bei künftigen Versuchsreihen bis auf 14 TeV gesteigert werden soll. Ziel der Versuche ist es, physikalische Theorien zu prüfen sowie verschiedene theoretisch vorhergesagte, bislang aber noch nicht experimentell nachgewiesene Elementarteilchen zu erzeugen.

Die Versuchsreihe

Nach einer in der kernphysikalischen Wissenschaft diskutierten Gravitationstheorie besteht bei Durchführung der Versuche ab einer bislang in Laborexperimenten noch nicht erreichten Energiemenge die Möglichkeit, sogenannte Miniatur-Schwarze-Löcher zu erzeugen. Dabei handelt es sich um stark komprimierte Materie, die unter bestimmten Bedingungen prinzipiell die Eigenschaft hat, durch Schwerkraft die sie umgebende Materie zu akkretieren, das heißt anzuziehen, dadurch weiter zu wachsen und dergestalt immer größere Bereiche ihrer Umwelt zu absorbieren. Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt jedoch der Versuchsaufbau am CERN kein Gefahrenpotential. Einschlägige Fachpublikationen schließen insbesondere die Möglichkeit unkontrolliert wachsender Miniatur-Schwarze-Löcher aus. Bereits deren Erzeugung während der Versuchsreihen sei wegen der im LHC verwendeten Energiemenge nicht sicher, wenn auch erwünscht. Jedenfalls würden etwaig entstehende Miniatur-Schwarze-Löcher nach den Gesetzen des sogenannten Hawking’schen Strahlungstheorems sofort wieder verdampfen. Selbst wenn sie stabil wären, das Hawking’sche Theorem also widerlegt würde, zeitige dies keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt, weil der Teilchenbeschleuniger lediglich unter Laborbedingungen natürliche Prozesse reproduziere, die seit jeher unkontrolliert in der Erdatmosphäre abliefen, wenn kosmische Strahlung dort auf Luftmoleküle treffe. Diese natürlichen Prozesse hätten bislang keinerlei negativen Auswirkungen auf die Umwelt gehabt, was Rückschlüsse auf den Versuchsaufbau zulasse. Von alledem abgesehen, gebe es jedenfalls stellare Objekte, sogenannte Weiße Zwerge und Neutronensterne, die nicht existieren könnten, falls Miniatur-Schwarze-Löcher in der Lage wären, Himmelskörper zu zerstören.

Das Eilverfahren

Das Verwaltungsgericht Köln hatte bereits im September 2008 den Eilantrag mit der Begründung abgelehnt, es lasse sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht feststellen, dass bei Inbetriebnahme des LHC grundrechtsrelevante Gefährdungen für die Klägerin eintreten könnten. Die hiergegen beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster erhobene Beschwerde blieb ebenso erfolglos, wie eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin, die das Bundesverfassungsgericht als unzulässig eingestuft und nicht zur Entscheidung angenommen hat.

Das Hauptsacheverfahren

Das Verwaltungsgericht Köln folgte der Klägerin jetzt auch im Hauptsacheverfahren nicht:

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch könne nur die grundgesetzliche Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens sein. Dies erfordere von der Klägerin als Anspruchstellerin, dass sie die von ihr behaupteten Gefahren plausibel und substantiiert darlege. Dies sei ihr jedoch angesichts der unterschiedlichen theoretischen Auffassungen trotz der insoweit in den vorhergehenden Gerichtsverfahren seitens der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts gegebenen Hinweise nicht gelungen.

Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 28. Januar 2011 – 13 K 5693/08