Steueraussetzung beim Gasöl – und die Fehlmengen im Steuerlager

Der Bundesfinanzhof hat ein Vorabentscheidungsersuchen zu den energiesteuerrechtlichen Folgen der Feststellung von Unregelmäßigkeiten (Fehlmengen) nach § 14 Abs. 3 EnergieStG an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.

Steueraussetzung beim Gasöl – und die Fehlmengen im Steuerlager

Im Einzelnen möchte der Bundesfinanzhof vom Unionsgerichtshof folgende Fragen geklärt haben:

  1. Ist Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG dahingehend auszulegen, dass dessen Voraussetzungen nur dann erfüllt sind, wenn die gesamte Menge der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen ist, oder kann die Regelung unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 6 Richtlinie 2008/118/EG auch auf Fälle angewendet werden, bei denen nur eine Teilmenge der unter Steueraussetzung beförderten verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eintrifft?
  2. Ist Art.20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG dahingehend auszulegen, dass die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung erst dann endet, wenn der Empfänger das bei ihm eingetroffene Transportmittel vollständig entladen hat, so dass die Feststellung einer Fehlmenge während des Entladevorgangs noch während der Beförderung erfolgt?
  3. Steht Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a Richtlinie 2008/118/EG einer nationalen Vorschrift entgegen, nach der die Erhebungskompetenz des Bestimmungsmitgliedstaats (neben dem Ausschluss der in Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG geregelten Fälle) allein von der Feststellung des Eintritts einer Unregelmäßigkeit und der Unmöglichkeit der Ermittlung des Orts, an dem die Unregelmäßigkeit begangen worden ist, abhängig gemacht wird, oder ist zusätzlich die Feststellung erforderlich, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren durch ihre Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind?
  4. Ist Art. 7 Abs. 2 Buchstabe a Richtlinie 2008/118/EG dahingehend auszulegen, dass bei der Feststellung einer Unregelmäßigkeit nach Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG eine Überführung der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten und am Bestimmungsort nicht eingetroffenen verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr in sämtlichen Fällen anzunehmen ist, in denen der in Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG vorgesehene Nachweis der vollständigen Zerstörung oder des unwiederbringlichen Verlustes der festgestellten Fehlmenge nicht erbracht werden kann?

In dem beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahren versandte die Klägerin im Januar 2011 Gasöl des Codes der Kombinierten Nomenklatur 2710 19 41 unter Verwendung eines elektronischen Verwaltungsdokuments im innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren aus einem in den Niederlanden gelegenen Steuerlager an ein in Deutschland gelegenes Steuerlager. Nach Ankunft des für den Transport eingesetzten Motorschiffs wurde das Gasöl in einen Tank der deutschen Steuerlagerinhaberin, einer GmbH & Co. KG (KG), gepumpt. Bei der Mengenermittlung durch Bestimmung der Peilhöhe stellte die KG eine gegenüber den Angaben im elektronischen Verwaltungsdokument geringere Menge fest. Die ermittelte Fehlmenge betrug 0, 202 % der angemeldeten Menge. Die festgestellte Mengendifferenz teilte die KG dem Hauptzollamt mit. Aufgrund der Überschreitung der von der deutschen Finanzverwaltung generell akzeptierten Toleranzgröße von 0, 2 % setzte das Hauptzollamt gegenüber der Klägerin Energiesteuer für denjenigen Teil der Fehlmenge fest, der die Toleranzgröße überstieg.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht urteilte, die Energiesteuer sei aufgrund einer im Steuergebiet eingetretenen Unregelmäßigkeit nach § 14 Abs. 2 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entstanden, weshalb der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig sei. Der streitgegenständliche Teil der Sendung sei eine Fehlmenge, die auf eine Unregelmäßigkeit i.S. des § 14 Abs. 1 EnergieStG zurückzuführen sei, denn hinsichtlich eines Teils der Beförderungsmenge sei das Steueraussetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß beendet worden. Dabei könne ausgeschlossen werden, dass die Unregelmäßigkeit erst nach der Beförderung eingetreten sei. Die Mengenermittlung im Rahmen des Löschvorgangs gehöre zur Aufnahme im Lager des Empfängers i.S. des § 11 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG. Gemäß § 14 Abs. 3 EnergieStG gelte die Unregelmäßigkeit als im Steuergebiet eingetreten. Im Streitfall seien darüber hinaus die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG[1] erfüllt, weil die Beförderung der Fehlmenge nicht i.S. des Art.20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG beendet worden sei und die Unregelmäßigkeit trotz der unbekannten Ursache der Fehlmenge eine Überführung des Gasöls in den steuerrechtlich freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2008/118/EG zur Folge gehabt habe. Da die Klägerin keine weiteren Erläuterungen zum Entstehen der Fehlmenge abgegeben habe, sei der ihr obliegende Nachweis einer Zerstörung oder eines Verlustes i.S. des Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG nicht geführt worden. Da die zur Beförderung angemeldete Sendung unstreitig am Bestimmungsort eingetroffen sei, könne Art. 14 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG keine Anwendung finden. Gegen das Urteil des Finanzgerichts hat die Klägerin Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt.

Der Bundesfinanzhof setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV die im Tenor bezeichneten Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Die rechtliche Würdigung des Streitfalls ist unionsrechtlich zweifelhaft. Die Entscheidung über die Revision hängt zunächst von der Frage ab, ob die Entladung verbrauchsteuerpflichtiger Waren nach der Ankunft des Transportmittels am Bestimmungsort -im Streitfall das Umpumpen des aus den Niederlanden beförderten Gasöls aus dem Tankschiff in das Tanklager des in Deutschland ansässigen Empfängers- noch als Teil der Beförderung i.S. des Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG angesehen werden kann, so dass dabei ermittelte Fehlmengen als während der Beförderung festgestellte Unregelmäßigkeiten gelten könnten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob in Fällen, in denen zwar das Transportmittel und die Sendung am Bestimmungsort angekommen sind, jedoch nach den am Bestimmungsort getroffenen Feststellungen ein Teil der im elektronischen Verwaltungsdokument angegebenen Menge nicht eingetroffen ist, ohne weitere Feststellungen davon ausgegangen werden kann, dass die Fehlmenge auf einer Unregelmäßigkeit beruht, es sei denn, es wird der in Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG geregelte Nachweis der vollständigen Zerstörung oder des unwiederbringlichen Verlustes der nicht am Bestimmungsort eingetroffenen Waren geführt. Mit Fragen zur Auslegung des Art. 10 Absatz 2 und 4 Richtlinie 2008/118/EG hat sich bereits eine Expertengruppe der Europäischen Kommission befasst[2], wobei in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Auslegungen dieser Bestimmungen festgestellt werden konnten.

Sofern die aus einem anderen Mitgliedstaat im Steuerversandverfahren beförderten Energieerzeugnisse nicht an bestimmte bezugsberechtigte Personen in Deutschland abgegeben worden sind, entsteht nach § 14 Abs. 2 EnergieStG die Energiesteuer, wenn während der Beförderung von Energieerzeugnissen nach § 11 EnergieStG -d.h. aus einem in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Steuerlager- im Steuergebiet eine Unregelmäßigkeit eintritt. Als Unregelmäßigkeit gilt nach § 14 Abs. 1 EnergieStG ein Fall, der nicht unter § 8 Abs. 1a EnergieStG fällt und aufgrund dessen die Beförderung oder ein Teil der Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden kann. Wird während der Beförderung unter Steueraussetzung aus einem Steuerlager in einem anderen Mitgliedstaat im Steuergebiet der Eintritt einer Unregelmäßigkeit festgestellt, ohne dass der Ort des Eintritts der Unregelmäßigkeit ermittelt werden kann, gilt diese nach § 14 Abs. 3 EnergieStG als im Steuergebiet und zum Zeitpunkt der Feststellung als eingetreten, so dass Deutschland hinsichtlich der danach im Steuergebiet entstandenen Energiesteuer die Erhebungskompetenz zusteht.

Im Streitfall ist fraglich, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 EnergieStG, mit dem Deutschland die Vorgaben in Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG in nationales Recht umgesetzt hat, erfüllt sind. Zwar wurde das Gasöl aus einem in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Steuerlager im Steueraussetzungsverfahren nach Deutschland befördert, doch wurde nach der Ankunft des Tankschiffs am Bestimmungsort in Deutschland vom Empfänger der Ware eine Mengendifferenz festgestellt. Eine Erhebungskompetenz stünde Deutschland nur dann zu, wenn im Streitfall auch die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG erfüllt wären, d.h. wenn die Feststellung der Fehlmenge als Feststellung einer Unregelmäßigkeit bei der Beförderung in einem Verfahren der Steueraussetzung angesehen werden könnte. Für eine solche Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG spräche die in Art.20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG getroffene Regelung, nach der die Beförderung in den in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a Ziffer i Richtlinie 2008/118/EG genannten Fällen erst in dem Zeitpunkt endet, in dem der Empfänger die verbrauchsteuerpflichtige Ware übernommen hat. Ist davon auszugehen, dass die Ware erst mit Abschluss des Vorgangs der Entladung übernommen wird, bildete die Löschung einer Fracht den letzten Teil der Beförderung, so dass Fehlmengen noch bei der Beförderung festgestellt wären. Nach den Empfehlungen der von der Europäischen Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe soll für die Beendigung des Beförderungsvorgangs gemäß Art. 16 Abs. 2 Buchstabe d und Art.19 Abs. 2 Buchstabe b Richtlinie 2008/118/EG die Übermittlung der Eingangsmeldung und die Erfassung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den Büchern des Empfängers maßgeblich sein. Andererseits ließe sich die Auffassung vertreten, dass es lediglich darauf ankommt, dass das Transportmittel am Bestimmungsort angekommen ist und dem Empfänger die Zugriffsmöglichkeit auf die Ware verschafft wird. In diesem Fall wäre die Beförderung bereits mit der Ankunft des Beförderungsmittels am Bestimmungsort und evtl. mit dem Übergang der Gefahr eines Verlustes der Ware auf den Empfänger beendet, so dass sich die Entladung als ein der Beförderung nachgelagerter Vorgang darstellte.

Bei Anwendung des Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG wäre auch fraglich, ob aus dem Umstand der Feststellung einer Fehlmenge nach Art. 10 Abs. 6 Richtlinie 2008/118/EG bereits auf den Eintritt einer Unregelmäßigkeit und einer Entstehung der Steuer nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2008/118/EG durch Entnahme der verbrauchsteuerpflichtigen Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung geschlossen werden kann oder ob für die von Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG geforderte Entnahme i.S. des Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2008/118/EG zusätzliche Voraussetzungen/Feststellungen erforderlich sind. Nach der Systematik der unionsrechtlichen Regelungen ist die Feststellung einer Unregelmäßigkeit lediglich in den Fällen des Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG entbehrlich, der die Fiktion des Eintritts einer Unregelmäßigkeit lediglich von dem Umstand abhängig macht, dass die Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind.

Nach Art. 10 Abs. 6 Richtlinie 2008/118/EG liegt eine Unregelmäßigkeit vor, wenn während der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung ein Fall eintritt, der dazu führt, dass eine Beförderung oder ein Teil derselben nicht nach Art.20 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG beendet wurde. Diese Vorschrift kann dahin gedeutet werden, dass bereits die Feststellung einer Fehlmenge am Bestimmungsort und damit der Nachweis, dass die Beförderung hinsichtlich dieses Teils der Sendung nicht ordnungsgemäß beendet wurde, ausreichen, um die Annahme einer Unregelmäßigkeit zu rechtfertigen. Reicht dagegen die bloße Feststellung einer Fehlmenge durch den Empfänger nicht aus, um zugleich von der Feststellung einer Unregelmäßigkeit auszugehen, stellte sich die Frage nach der Beweislastverteilung. Einerseits hätte die zuständige Behörde den Nachweis der Entstehung der Steuer nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2008/118/EG zu führen; andererseits hätte der Inhaber des Steuerversandverfahrens nach Art. 7 Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 2008/118/EG die besonderen Umstände nachzuweisen, die der Annahme einer Steuerentstehung entgegenstünden (z.B. vollständige Zerstörung oder unwiederbringlicher Verlust der Waren). Nur wenn sich nach diesen Grundsätzen eine Unregelmäßigkeit nicht feststellen ließe, bliebe Raum für einen Rückgriff auf Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG, von dessen Auslegung die Entscheidung des Streitfalls ebenfalls abhängt.

Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG regelt den Fall, dass im Steueraussetzungsverfahren beförderte Waren nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen sind, wobei während der Beförderung unter Steueraussetzung keine Unregelmäßigkeit festgestellt worden ist. In seinen Schlussanträgen vom 21.03.2002 in der Rechtssache – C-395/00[3] hat Generalanwalt Mischo die Ansicht vertreten, dass sich die Absätze 1 und 2 des Artikels 20 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.02.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren[4] -die die Vorgängervorschrift des Art. 10 Richtlinie 2008/118/EG ist- auf Fälle beziehen, in denen die Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit während der Beförderung begangen worden ist, so dass ein Nachweis der Ordnungsmäßigkeit des Vorgangs von der Logik dieser Absätze ausgeschlossen ist, weshalb Art.20 Abs. 2 Richtlinie 92/12/EWG keine Anwendung finden könne, wenn die betreffenden Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind. Aus diesen Ausführungen könnte geschlossen werden, dass von Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG alle Fälle erfasst werden, bei denen Teile der jeweiligen Sendung oder die Sendung als solche nicht am Bestimmungsort eintreffen und bei denen -aufgrund fehlender Überprüfungsmöglichkeiten- der Eintritt einer Unregelmäßigkeit nicht festgestellt werden kann. Andererseits wäre auch eine Auslegung der Bestimmung dahingehend denkbar, dass das Unionsrecht die Erhebungskompetenz dem Abgangsmitgliedstaat nur dann zuweist, wenn eine Sendung als solche den Bestimmungsort nicht erreicht.

Hierfür könnten der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sprechen, die der Vorgängervorschrift des Art.20 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG nachgebildet ist. Nach dieser Vorschrift gilt die Zuwiderhandlung oder die Unregelmäßigkeit als in dem Abgangsmitgliedstaat begangen, wenn die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eintreffen und der Ort der Zuwiderhandlung oder der Unregelmäßigkeit nicht festgestellt werden kann. Der Hinweis auf „die verbrauchsteuerpflichtigen Waren“ könnte darauf hindeuten, dass sich der Anwendungsbereich der Vorschrift nur auf den Fall erstreckt, dass sämtliche unter Steueraussetzung beförderten Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind. In diese Richtung könnten die Erwägungsgründe gedeutet werden, nach denen es angebracht ist, dass die Verbrauchsteuer im Fall einer Zuwiderhandlung oder einer Unregelmäßigkeit u.a. „bei Nichtvorführung im Bestimmungsmitgliedstaat von dem Ausgangsmitgliedstaat erhoben wird“. Im ersten Richtlinienvorschlag der Kommission für die Verbrauchsteuersystemrichtlinie waren die Regelungen des Art.20 Richtlinie 92/12/EWG in Art. 14 enthalten, zu dessen Begründung ausdrücklich darauf verwiesen wurde, dass er den vergleichbaren Bestimmungen des gemeinschaftlichen Versandrechts entspreche[5]. Art. 34 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2726/90 des Rates vom 17.09.1990 über das gemeinschaftliche Versandverfahren[6] regelte den Fall, dass die Sendung nicht der Bestimmungszollstelle gestellt worden ist und dass der Ort der Zuwiderhandlung nicht zu ermitteln war. In diesem Fall galt die Zuwiderhandlung als in dem Mitgliedstaat begangen, zu dem die Abgangsstelle gehörte. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das gemeinschaftliche Versandverfahren deutet darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung des steuerlichen Versandverfahrens den Fall der Nichtgestellung der Sendung mit der in Art.20 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG getroffenen Regelung erfassen wollte. Das könnte erklären, dass er in den Erwägungsgründen die „Nichtvorführung im Bestimmungsland“ angesprochen und in Art.20 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG die Formulierung „die verbrauchsteuerpflichtigen Waren“ verwendet hat. Dieselbe Formulierung findet sich auch in Abs. 11 Satz 2 der Erwägungsgründe zur Richtlinie 2008/118/EG. Darin wird der Regelungsgehalt des Art. 10 Abs. 4 Richtlinie wie folgt beschrieben: „Treffen die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht an ihrem Bestimmungsort ein und wurde keine Unregelmäßigkeit festgestellt, so gilt die Unregelmäßigkeit als im Abgangsmitgliedstaat begangen.“ Nach dem Wortlaut des Erwägungsgrundes bezieht sich dieser nicht auf den Fall, dass eine bestimmte Menge der im Steuerversandverfahren beförderten Waren nicht eintrifft, sondern darauf, dass die Waren insgesamt nicht eintreffen, weshalb die Annahme gerechtfertigt erschiene, dass nur der Fall der vollständigen Nichterledigung des Versandverfahrens angesprochen wird.

Wäre davon auszugehen, dass Art. 10 Abs. 4 Richtlinie 2008/118/EG nur den Fall erfasst, dass die gesamte Sendung an verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eintrifft, ohne dass während der Beförderung eine Unregelmäßigkeit festgestellt werden konnte, bestünde eine Regelungslücke für die Fälle, in denen unter dieser Voraussetzung nur ein Teil der Sendung am Bestimmungsort nicht eingetroffen ist. Denn auf die in Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2008/118/EG geregelte Erhebungskompetenz könnte nur dann zurückgegriffen werden, wenn bei der Beförderung eine Unregelmäßigkeit festgestellt werden konnte.

Wegen der bestehenden Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Art. 10 Richtlinie 2008/118/EG hält es der Bundesfinanzhof für erforderlich, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu den im Tenor bezeichneten Fragen zu ersuchen.

Bundesfinanzhof – Entscheidung vom 11. November 2014 – VII R 40/13

  1. ABl.EU 2009 Nr. L 9/12[]
  2. vgl. Empfehlungen der „Arbeitsgruppe 2“ CED Nr. 844 taxud.c.2(2014)1684121[]
  3. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 21.03.2002 – C-395/00, Distillerie Fratelli Cipriani SpA gegen Ministro delle Finanze[]
  4. ABl.EG Nr. L 76/1[]
  5. KOM (90) 431 endg. vom 07.11.1990, S. 12[]
  6. ABl.EG Nr. L 262/1[]