Zur Auslegung des Rechtsbegriffs „Pilotprojekte zur Entwicklung umweltverträglicher Produkte“ im Sinne des § 105 EnergieStV hat jetzt das Finanzgericht Hamburg Stellung bezogen:

Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG i. V. m. § 105 EnergieStV in Betracht. § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG, der Art. 15 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom umsetzt, ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, durch Rechtsverordnung zu regeln, dass die Hauptzollämter im Verwaltungswege eine Steuerbegünstigung für Energieerzeugnisse gewähren können, die bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet werden. Auf der Grundlage dieser Verordnungsermächtigung hat das Bundesministerium der Finanzen in § 105 EnergieStV geregelt, dass das zuständige Hauptzollamt auf Antrag im Verwaltungswege eine Steuerbegünstigung für Energieerzeugnisse gewähren kann, die bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet werden.
Mit dem Rechtsbegriff „Pilotprojekt zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte“ hat sich das Gericht Erster Instanz der Europäischen Union in seinem Urteil vom 27.09.2000[1] befasst und ausgeführt, dass die Verwirklichung von Pilotprojekten im Allgemeinen die letzte Stufe des Forschungs- und Entwicklungsprozesses darstelle, die der industriellen Umsetzung der Ergebnisse dieser Forschungen im größtmöglichen Maßstab vorausgehe. Der Rechtsbegriff sei eng und unter Berücksichtigung zu vermeidender Wettbewerbsverzerrungen auszulegen. Weiter heißt es, es stehe fest, dass die Auswirkungen der Forschungs- und Entwicklungsarbeit eines Unternehmens zum Beispiel auf technologischem Gebiet den Wettbewerb umso mehr beeinträchtigen könnten, je mehr sich diese Tätigkeit der Stufe der Vermarktung und damit der kommerziellen Nutzung annähere. In der 24. Begründungserwägung zur Richtlinie 2003/96 heißt es, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden solle, bestimmte Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen anzuwenden, sofern dies nicht das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtige oder zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung und legt seiner Auslegung, die unionsrechtskonform zu erfolgen hat, auch die Begründungserwägungen der Richtlinie 2003/96 zu Grunde.
Die Annahme eines Pilotprojekts zur Entwicklung umweltverträglicher Produkte scheitert an der notwendigen restriktiven Auslegung auch unter Berücksichtigung der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Nach dem bereits zitierten Urteil des Gerichts Erster Instanz der Europäischen Union vom 27.09.2000[2] kann eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs umso mehr angenommen werden, je mehr sich die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Stufe der Vermarktung und damit der kommerziellen Nutzung annähert. Letztlich dienen die Versuchsreihen jedenfalls überwiegend dazu, die bereits auf dem Markt befindlichen Katalysatoren an geänderte rechtliche (Abgasnormen) und/oder technische (neue bzw. weiterentwickelte Motoren) Bedingungen anzupassen, um diese Katalysatoren kommerziell nutzen und erfolgreich vermarkten zu können. Dabei geht es der Klägerin naturgemäß auch darum, im Wettbewerb mit den anderen Herstellern vergleichbarer Katalysatoren zu bestehen. Es geht also im Kern um notwendige Anpassungen an die Markterfordernisse und nicht um die Entwicklung neuer umweltverträglicher Produkte, die steuerbegünstigt sein soll, um zu verhindern, dass die Entwicklung dieser Produkte aufgrund der dadurch verursachten Energiekosten unterbleibt.
Insofern hält das Finanzgericht Hamburg auch die Definition des Rechtsbegriffs „Pilotprojekt“ in der Verwaltungsvorschrift für richtig. Danach müssen, um eine Steuerbegünstigung zu erwirken, technische Neuentwicklungen erfolgen; branchenübliche Weiterentwicklungen, die dem Erhalt oder der Verbesserung der Marktposition dienen oder die eine Anpassung der Produkte zur Erfüllung geänderter Rechtsvorgaben darstellen, sind nicht begünstigungsfähig. Die von der Klägerin geschilderten Entwicklungen dienen aber jedenfalls weit überwiegend dem Erhalt oder der Verbesserung der Marktposition, wenn die Katalysatoren an neue Motoren angepasst oder sonst verbessert werden und dadurch erfolgreich am Markt angeboten werden können. Sofern die Abgaswerte verbessert werden sollen, dienen die Entwicklungen der Erfüllung geänderter Rechtsvorgaben, was wiederum Voraussetzung für die Vermarktung ist.
Die rechtlichen Anforderungen an eine Patentanmeldung decken sich nicht mit denen für eine Steuerbegünstigung für Pilotprojekte, vielmehr handelt es sich bei dem Patentrecht einerseits und dem Energiesteuerrecht andererseits um gänzlich unterschiedliche Regelungszusammenhänge. Während kontinuierliche Weiterentwicklungen vorhandener Produkte nicht eine für die Annahme eines Pilotprojekts erforderliche letzte Stufe eines in sich abgeschlossenen Prozesses darstellen können, werden Patente nach § 1 Abs. 1 PatG für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich nutzbar sind. Damit können also auch kleinteilige Entwicklungsschritte, die für sich genommen kein Pilotprojekt im Sinne von § 105 EnergieStG darstellen, patentiert werden. Energiesteuerrechtliche und patentrechtliche Wertungen präjudizieren sich nicht wechselseitig.
Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 19. Juni 2012 – 4 K 66/11







