Steuererstattungen – und der Anspruch auf Verzinsung nach Unionsrecht

Sieht eine Richtlinie eine obligatorische Steuerbefreiung vor, die der Mitgliedstaat nicht rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt hat, und kann sich der Steuerpflichtige deshalb unmittelbar auf die entsprechende Richtlinienbestimmung berufen, stehen ihm nach den unionsrechtlichen Grundsätzen Zinsen auf den Entlastungsbetrag zu, wenn der Mitgliedstaat anfänglich dessen Auszahlung verweigert.

Steuererstattungen – und der Anspruch auf Verzinsung nach Unionsrecht

Der Behörde steht eine angemessene Frist für die Bearbeitung des -vollständigen- Entlastungsantrags zu, die bei der Zinsberechnung zu berücksichtigten ist. In Fällen der Energiesteuerentlastung beginnt der Zinslauf 4 Monate und 10 Arbeitstage nach Eingang des vollständigen Entlastungsantrags.

Ein Zinsbescheid über Prozesszinsen enthält nicht zugleich eine stillschweigende Ablehnung weiterer Zinsen, insbesondere auf unionsrechtlicher Grundlage.

Der Zinsbescheid über Prozesszinsen

Ein Zinsbescheid über Prozesszinsen steht der Festsetzung weiterer Zinsen nicht entgegen, auch wenn dieser Bescheid formell bestandskräftig ist. Denn dieser Bescheid umfasst nicht die begehrten weiteren Zinsen, so dass dessen Bestandskraft dem erweiterten Zinsanspruch nicht entgegenstehen kann. Der Ansicht des in der Vorinstanz tätigen Finanzgerichts Düsseldorf, das Hauptzollamt habe in dem Zinsbescheid stillschweigend die Gewährung weiterer Zinsen -auch auf anderer Rechtsgrundlage als § 236 AO- abgelehnt[1], folgte der Bundesfinanzhof im hier entschiedenen Streitfall nicht; Das Hauptzollamt hat durch den Bescheid ausschließlich Prozesszinsen auf der Grundlage von § 236 AO festgesetzt.

Ob das Hauptzollamt den Willen hatte, mit diesem Bescheid auch weitergehende Zinsansprüche abzulehnen, ist unerheblich. Denn der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts bestimmt sich nicht nach dem, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Vielmehr wird ein Verwaltungsakt nur mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) verstehen konnte[2]. Die Auslegung des Verwaltungsakts muss dabei einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben[3].

Die Auslegung eines Verwaltungsakts durch das Finanzgericht ist im Revisionsverfahren überprüfbar, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht hierzu ausreichen[4].

Der streitgegenständliche Bescheid ist mit „Zinsbescheid über Prozesszinsen“ überschrieben und verweist ausdrücklich auf § 236 AO. Das Hauptzollamt hatte von Amts wegen entschieden; ein Antrag ist auch nicht erforderlich[5]. Die Unternehmerin selbst hatte einen Antrag auf (unionsrechtliche) Zinsen erst mit Schreiben vom 11.03.2016 gestellt, wobei der Bundesfinanzhof dahinstehen lässt, ob ein solcher Antrag nach der Rechtsprechung des EuGH[6] erforderlich ist. Jedenfalls musste die Unternehmerin nicht davon ausgehen, dass das Hauptzollamt bereits mit Bescheid vom 22.01.2016 konkret hierüber entschieden hatte.

Weiterer Zinsanspruch aus Unionsrecht

Der Unternehmerin steht ein weitergehender Zinsanspruch zu, der sich direkt aus dem Unionsrecht ergibt.

Die Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union zur Verzinsung ist auf den hier vorliegenden Fall einer Energiesteuervergütung übertragbar.

In ständiger Rechtsprechung geht der EuGH davon aus, dass sich im Fall von Steuerbeträgen, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, ein Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Beträge, sondern auch der Beträge ergibt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an den Mitgliedstaat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch Einbußen aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Geldbeträgen. Der Anspruch auf Erstattung der Beträge einschließlich der Zinsen ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht[7]. Dieser Rechtsprechung hat sich der Bundesfinanzhof angeschlossen[8].

Den bisherigen Entscheidungen des EuGH ist gemeinsam, dass ein Mitgliedstaat in Widerspruch zum Unionsrecht Abgaben erhoben hat. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall insofern, als es nicht um eine unionsrechtswidrige Erhebung einer Abgabe geht, sondern um eine unionsrechtswidrige Nichtgewährung einer obligatorischen Steuerbefreiung.

Der Unternehmerin stand aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL ein Anspruch auf die Vergütung der Energiesteuer zu, weil die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) diese Regelung nicht fristgerecht in deutsches Recht umgesetzt hatte[9]. Unter Anwendung dieser EuGH-Rechtsprechung hatte das Finanzgericht Düsseldorf[10] der Unternehmerin einen Vergütungsanspruch zugesprochen.

Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL haben die Mitgliedstaaten Energieerzeugnisse, die bei der Stromerzeugung verwendet werden, von der Energiesteuer zu befreien. Wie diese Steuerbefreiung von den Mitgliedstaaten umgesetzt wird -ob als Ausnahme von der Besteuerung oder durch Gewährung von Entlastungsansprüchen- ist diesen überlassen. Mit Blick auf den Effektivitätsgrundsatz darf sich jedenfalls kein Nachteil für den Steuerpflichtigen daraus ergeben, dass die obligatorische Steuerbefreiung in einem Mitgliedstaat im Wege der Steuerentlastung realisiert wird, wie es in Deutschland durch §§ 49 und 53 EnergieStG geschehen ist. Wie der EuGH entschieden hat, entfaltet Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL unmittelbare Wirkung, so dass ein Wirtschaftsbeteiligter unter Berufung auf diese Vorschrift die Erstattung einer unter Verstoß gegen diese Bestimmung erhobene Steuer erwirken kann[11]. Hinsichtlich der fehlenden Verfügbarkeit des Erstattungsbetrags darf ihm nach den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität eine angemessene Entschädigung nicht vorenthalten werden[12]. Insoweit ist die dargestellte EuGH-Rechtsprechung auf den Streitfall übertragbar.

Dem steht nicht entgegen, dass der Bundesfinanzhof grundsätzlich nicht von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger Staatsleistungen ausgeht, sondern das geltende Recht nur die Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände kennt[13]. Die genannten Entscheidungen befassten sich nicht mit der Verzinsung unionsrechtswidrig erhobener oder nicht erstatteter Abgaben, für die vorrangig die oben dargestellte EuGH-Rechtsprechung zu beachten ist.

Zinsbeginn und Zinsende

Der Unternehmerin stehen unionsrechtliche Zinsen allerdings erst ab dem 10.12.2011 und -begrenzt durch die bereits festgesetzten Prozesszinsen- nur bis zum 25.02.2015 zu.

Nach der Rechtsprechung des EuGH zum Mehrwertsteuerüberschuss und zur Durchsetzung des Neutralitätsprinzips steht der Steuerbehörde eine angemessene Frist für die Bearbeitung zu[14]. Maßgeblich ist danach, in welchem angemessenen Zeitraum eine Bearbeitung des Erstattungsantrags erwartet werden kann. Dieser Zeitraum ist bei der Berechnung des Zinsanspruchs, der dem Ausgleich des infolge des vorübergehenden Kapitalentzugs entstandenen wirtschaftlichen Nachteils dient, zu berücksichtigen. Insoweit begrenzen die Erfordernisse eines ordnungsgemäßen Vollzugs steuerrechtlicher Entlastungsregelungen den auf Unionsrecht beruhenden Zinsanspruch.

Nach diesen Grundsätzen ist auch bei der Prüfung von Anträgen auf Entlastung von der Energiesteuer der Behörde eine angemessene Bearbeitungszeit zuzubilligen. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung orientiert sich der Bundesfinanzhof zur Bestimmung der Bearbeitungsfrist an den unionsrechtlichen Regelungen in der Richtlinie 2008/9/EG[15] des Rates vom 12.02.2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige[15], weil darin die Wertung des Unionsgesetzgebers Ausdruck gefunden hat, welche Bearbeitungsfrist er für angemessen erachtet.

Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/9/EG muss der Erstattungsantrag dem Mitgliedstaat, in dem der Steuerpflichtige ansässig ist, spätestens am 30.09.des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres vorliegen. Sodann stehen der Behörde gemäß Art.19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 RL 2008/9/EG insgesamt 4 Monate und 10 Arbeitstage zur Verfügung, um den Erstattungsantrag zu bearbeiten und den Erstattungsbetrag auszuzahlen. Muss die Behörde weitere Informationen beim Antragsteller anfordern, verlängert sich die Bearbeitungsfrist (vgl. Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 RL 2008/9/EG). Arbeitstage sind nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung[16] Nr. 1182/71 des Rates vom 03.06.1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine alle Tage außer Feiertage, Sonntage und Sonnabende.

Eine Übernahme dieser Fristen für die vorliegende Konstellation erscheint dem Bundesfinanzhof sachgerecht, weil auch bei der Energiesteuer wegen der für alle Antragsteller gleichen Abgabefristen für Entlastungsanträge mit einem erhöhten Antragsaufkommen zu bestimmten Zeiten zu rechnen ist.

Maßgebend für den Zinsbeginn ist die Abgabe des vollständigen Antrags auf Entlastung. Nur bei Vorlage eines ordnungsgemäßen und vollständigen Antrags wird die Behörde in die Lage versetzt, den Antrag zu bearbeiten und das Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Steuerentlastung festzustellen. Im Streitfall hat das Finanzgericht nicht festgestellt, dass ein unvollständiger Antrag vorliegt, so dass der Bundesfinanzhof von der Abgabe eines vollständigen Antrags am 25.07.2011 ausgeht.

Der Zinslauf beginnt mithin 4 Monateund 10 Arbeitstage nach Abgabe dieses Antrags.

Schließlich ist der Anspruch der Unternehmerin begrenzt, weil bereits Zinsen nach § 236 AO festgesetzt wurden. Soweit der Unternehmerin bereits Zinsen zugesprochen wurden[17], steht einem weitergehenden Zinsanspruch der Zinsbescheid über die Prozesszinsen entgegen.

Zinssatz

In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung obliegt es den Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Zahlung der Zinsen, insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode, festzulegen. Die Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität entsprechen[18].

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Oktober 2019 – VII R 24/18

  1. FG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2018 – 4 K 1304/17 AO[]
  2. BFH, Urteile vom 18.07.1994 – X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4; und vom 30.11.1999 – IX R 57/98, BFH/NV 2000, 678, m.w.N.[]
  3. BFH, Urteil vom 27.11.1996 – X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791[]
  4. BFH, Urteile vom 12.06.1997 – I R 72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660; vom 24.08.2005 – II R 16/02, BFHE 210, 515, BStBl II 2006, 36; und vom 04.06.2008 – I R 72/07, BFH/NV 2008, 1977[]
  5. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO Rz 35[]
  6. vgl. EuGH, Urteil Irimie, EU:C:2013:250, Rz 23, HFR 2013, 659[]
  7. EuGH, Urteile Zuckerfabrik Jülich vom 27.09.2012 – C-113/10, – C-147/10, und – C-234/10, EU:C:2012:591, Rz 66, HFR 2012, 1210; Metallgesellschaft vom 08.03.2001 – C-397/98 und – C-410/98, EU:C:2001:134, Rz 84 ff., HFR 2001, 628; Littlewoods Retail u.a. vom 19.07.2012 – C-591/10, EU:C:2012:478, Rz 24 ff., HFR 2012, 1018; Irimie, EU:C:2013:250, Rz 21, HFR 2013, 659, und Rafinăria Steaua Română vom 24.10.2013 – C-431/12, EU:C:2013:686, HFR 2013, 1163[]
  8. BFH, Beschluss vom 05.12.2017 – VII B 85/17, BFH/NV 2018, 321; BFH, Urteil in BFHE 251, 291, BStBl II 2016, 323[]
  9. EuGH, Urteil Flughafen Köln/Bonn vom 12.07.2008 – C-226/07, EU:C:2008:429, HFR 2008, 1092[]
  10. FG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2015 – 4 K 625/15 VE[]
  11. EuGH, Urteil Flughafen Köln/Bonn, EU:C:2008:429, HFR 2008, 1092[]
  12. EuGH, Urteile Irimie, EU:C:2013:250, HFR 2013, 659, und Rafinăria Steaua Română, EU:C:2013:686, HFR 2013, 1163[]
  13. vgl. BFH, Urteile vom 29.04.1997 – VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476; vom 06.05.2008 – VII R 10/07, BFH/NV 2008, 1714[]
  14. vgl. EuGH, Urteile Enel Maritsa Iztok vom 12.06.2011 – C-107/10, EU:C:2011:298, Slg. 2011, I-3873, und Rafinăria Steaua Română, EU:C:2013:686, HFR 2013, 1163[]
  15. RL 2008/9/EG[][]
  16. EWG, Euratom[]
  17. ab Rechtshängigkeit[]
  18. BFH, Beschluss in BFH/NV 2018, 321, m.w.N.[]